Das Ende der Privatsphäre: Der Weg in die Überwachungsgesellschaft
Anschlägen gab es von etlichen Politikern deutliche Aussagen, den »Datenschutz tiefer zu hängen«, verbunden mit der Aufforderung, angebliche Hürden des Datenschutzes in Richtung auf eine effiziente Antiterrorgesetzgebung nicht mehr oder nur noch beschränkt zu dulden. Kritiker warnten hingegen vor einem »Wettlauf« der Sicherheitspolitiker um die jeweils härteste Haltung. Die Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern wiesen darauf hin, dass bei der künftigen Gesetzgebung die grundlegenden Rechtsstaatsprinzipien, nämlich das Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit, das Verhältnismäßigkeitsprinzip und der Erforderlichkeitsgrundsatz, zu beachten sind. Die Mahner blieben damit jedoch in der Minderheit.
Bereits eine Woche nach den Anschlägen beschloss das Bundeskabinett ein erstes, drei Milliarden Euro umfassendes Antiterrorpaket, das durch eine Erhöhung der Tabaksteuer finanziert werden sollte. Die Gelder flossen vor allem der Bundeswehr, den Nachrichtendiensten, dem Bundesamt für die Sicherheit der Informationstechnik (BSI) und dem Bundesgrenzschutz zu. Außerdem wurde eine generelle Sicherheitsüberprüfung für Flughafenpersonal beschlossen.
Wer bleibt im Raster hängen?
Schon vor dem Inkrafttreten der neuen Gesetze begannen die Sicherheitsbehörden, das vorhandene Instrumentarium auszureizen. Dies gilt insbesondere für die polizeilichen Rasterfahndungen, die in allen Bundesländern kurz nach den Anschlägen begonnen wurden. Die Rasterfahndung ist ein automatisierter Datenabgleich anhand bestimmter Prüfmerkmale, die auf den (potenziellen) Täter vermutlich zutreffen. Dabei werden polizeiliche Daten mit verschiedenen Datenbeständen bei nicht polizeilichen Stellen verknüpft. Ziel ist es, die Personen mit tätertypischen Merkmalen herauszufiltern. Datenschutzrechtlich bedeutsam ist die Rasterfahndung vor allem deshalb, weil sie zunächst nicht bei einer bekannten Zielperson ansetzt, sondern ganz überwiegend Daten von Menschen umfasst, für die keinerlei Verdachtsmomente vorliegen. Es handelt sich mithin um ein Mittel zur Verdachtsgewinnung und nicht um ein klassisches Fahndungsinstrument. Selbst die Personen, die anhand der vorgegebenen Prüfmerkmale im Raster hängen bleiben, sind damit nicht im strafrechtlichen Sinne verdächtig, werden jedoch gleichwohl von den Sicherheitsbehörden sorgfältig beobachtet und sehen sich einem besonderen Rechtfertigungsdruck ausgesetzt.
Die Rasterfahndung wurde erstmals in den Siebzigerjahren bei der Verfolgung der deutschen Terrorgruppe »Rote-Armee-Fraktion« (RAF) angewendet. Entsprechende Befugnisse wurden in die Strafprozessordnung (zur Strafverfolgung) und in die meisten Landespolizeigesetze (zur Gefahrenabwehr) aufgenommen. Die sehr aufwändige Fahndungsmaßnahme kam in der Folgezeit kaum zum Einsatz, sodass sogar darüber diskutiert wurde, sie wieder aus den Gesetzen zu streichen. Die Diskussionslage änderte sich aber nach dem 11. September schlagartig, als bekannt wurde, dass einige der Attentäter sich weitgehend unauffällig in Hamburg aufgehalten und dort studiert hatten. Es wurde befürchtet, dass sich noch weitere »Schläfer« in Deutschland aufhalten könnten. Doch wie sollte man Personen ausfindig machen, die weder der Polizei noch den Nachrichtendiensten aufgefallen waren? Fast selbstverständlich richtete sich die Aufmerksamkeit auf das Fahndungsinstrument der Siebzigerjahre, das man fast schon ausrangiert hatte. Der Hamburger Innensenator Olaf Scholz umschrieb das Ziel der neuen Rasterfahndung zutreffend damit, dass es um Personen ginge,
»die sich nicht besonders auffällig verhalten haben. … Sie haben ordentlich studiert und sich nicht mit der Polizei in Konflikt gebracht. Wir müssen uns darauf einstellen, gerade solche Personen identifizieren zu können, ohne jedermann in Verdacht zu bringen.« 37
In der Folgezeit erhoben die Länderpolizeien personenbezogene Daten von Universitäten, Einwohnermeldeämtern und aus dem Ausländerzentralregister und glichen diese Datenbestände anschließend anhand festgelegter Rasterkriterien gegeneinander ab. Um die Größenordnung zu verdeutlichen, seien hier die vom Berliner Datenschutzbeauftragten für seinen Zuständigkeitsbereich ermittelten Zahlen genannt: Die zunächst an die Polizei übermittelten Daten umfassten 58 063 Datensätze, aus denen schließlich die Daten von 114 Personen nach einer vorgegebenen Prioritätenliste ausgerastert wurden. Über diese Personen
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