Das Ende der Privatsphäre: Der Weg in die Überwachungsgesellschaft
legten die Polizeibehörden Ermittlungsakten an, die zur Grundlage einer eingehenden Überprüfung gemacht wurden. Die Prüfungen verliefen jedoch ergebnislos und führten nicht zur Enttarnung von neuen »Schläfern«. 38 Ähnlich verhielt es sich in den übrigen Bundesländern, auch wenn der Umfang der jeweils einbezogenen Daten erheblich variierte.
Um diesen »vorgerasterten« Personenkreis durch weitere Kriterien in Anlehnung an das Täterprofil der in Deutschland zeitweise wohnhaften Attentäter des 11. September 2001 einzuschränken, wurde der in einer Verbunddatei beim BKA eingestellte Datenbestand durch das BKA mit anderen Daten abgeglichen, die ihm vor allem von Bundesbehörden und Wirtschaftsunternehmen zur Verfügung gestellt worden waren.
Lange Zeit blieb weitgehend im Dunkeln, welche Ergebnisse diese bundesweite Rasterfahndung hatte. Ein Auswertungsbericht des BKA ließ fast drei Jahre auf sich warten. Die schließlich darin festgestellten Ergebnisse waren ziemlich ernüchternd. Es konnte durch diese sehr umfangreiche Fahndungsmaßnahme kein einziger eingeschleuster »Schläfer« oder sonstiger Terrorverdächtiger identifiziert und vor Gericht gebracht werden.
Es blieb – wie so oft – dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten, einen spektakulären Endpunkt zu setzen. In seinem Beschluss vom 4. April 2006 stellte es fest, dass die Rasterfahndung weitgehend verfassungswidrig war. Sie stelle als eine Maßnahme zur Verdachtsgewinnung einen intensiven Grundrechtseingriff dar, der eine große Anzahl völlig Unverdächtiger treffe, was nur bei Einhaltung strenger Anforderungen zulässig gewesen wäre. Diese Voraussetzungen seien allerdings 2001 nicht gegeben gewesen. Insbesondere habe es zum Zeitpunkt der Anordnung keine hinreichend beschriebene konkrete Gefahr gegeben, welche die Anordnung gerechtfertigt hätte. 39 Auch wenn sich die Entscheidung auf das nordrhein-westfälische Gesetz bezog, reicht ihre Wirkung über dieses Bundesland weit hinaus. Das Bundesverfassungsgericht hatte erneut – wie zuvor in seinem Volkszählungsurteil von 1983 (vgl. 3.1) und im Urteil zum Großen Lauschangriff 2004 (vgl. 3.2) – die verfassungsrechtlichen Grenzen staatlicher Datenverarbeitung aufgezeigt. Der Rechtsstaat muss diese Grenzen selbst in Zeiten terroristischer Bedrohung beachten.
»Otto-Kataloge«
Am 12. Oktober 2001 – fast genau einen Monat nach den Anschlägen von New York und Washington, D.C. – legte das Bundesinnenministerium den Entwurf für ein zweites Sicherheitspaket vor, in dem eine Vielzahl weitergehender Maßnahmen enthalten war (Journalisten sprachen – nach dem Vornamen des damaligen Bundesinnenministers Schily – vom »2. Otto-Katalog«). Nicht nur dem damaligen Bundesdatenschutzbeauftragten Joachim Jacob vermittelte dieser Entwurf den Eindruck,
»als ob hier alle nur denkbaren und gesetzestechnisch machbaren Möglichkeiten aufgelistet worden seien, teilweise ohne realen Bezug zur Terrorismusbekämpfung. Insbesondere berücksichtigte der Entwurf die in weiten
Teilen im Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 1983 formulierten datenschutzrechtlichen Vorgaben an Gesetze nicht. Er enthielt vielmehr sehr pauschale, nicht zielgenau auf konkrete Gefährdungssituationen im terroristischen Bereich ausgerichtete neue Eingriffsbefugnisse.« 40
Das Maßnahmenpaket stieß auch innerhalb der Bundesregierung auf Kritik. So berichtete die Presse über eine Stellungnahme des Bundesjustizministeriums, dass es im Hinblick auf den Titel des Pakets, »Terrorismusbekämpfungsgesetz«, doch angeraten sei, den Gesetzentwurf auch tatsächlich auf Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus zu beschränken.
Ende 2001 wurde das zweite Sicherheitspaket dennoch mit nur geringen Abstrichen beschlossen. Datenschutzrechtlichen Vorbehalten gegen neue Befugnisse begegnete der damalige Bundesinnenminister Otto Schily mit der Forderung, »überzogenen Datenschutz« zurückzufahren. Wo sich Datenschutz als Terroristenschutz auswirke, so ein Ministeriumssprecher bereits wenige Tage nach den Anschlägen vom 11. September, müsse eben Abhilfe geschaffen werden.
Im Folgenden sollen beispielhaft einige der in Deutschland 2001 und 2002 eingeführten Befugnisse und Maßnahmen mit Auswirkungen auf den Datenschutz genannt werden:
- Nachrichtendienste dürfen Unternehmen befragen und Auskünfte über Verkehrsdaten der Telekommunikation und des Internets, über Postdaten und über Daten der
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