Das Ende der Privatsphäre: Der Weg in die Überwachungsgesellschaft
Personalausweisgesetz wurde jedoch vor seinem Inkrafttreten durch die damaligen Regierungsparteien – CDU/CSU und FDP – gestoppt, weil das Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts von 1983 wichtige Nachbesserungen erforderlich machte. Das Gericht hatte ausgeführt, dass die
»Einführung eines einheitlichen, für alle Register und Dateien geltenden Personenkennzeichens oder dessen Substituts... ein entscheidender Schritt [wäre], den einzelnen Bürger in seiner ganzen Persönlichkeit zu registrieren und zu katalogisieren«. 42
Eine derart umfassende Katalogisierung des Menschen widerspräche jedoch dem Menschenbild des Grundgesetzes. Daraufhin wurde in das Personalausweisgesetz das ausdrückliche Verbot aufgenommen, Seriennummern zur Erschließung von Dateien zu verwenden, und die Speicherung von Fingerabdrücken im Personalausweis wurde ausdrücklich untersagt. Dieses Beispiel verdeutlicht, warum Parlamente und Öffentlichkeit auf ihrem Recht bestehen müssen, sich die für die Klärung der verfassungsrechtlichen und praktischen Fragen erforderliche Zeit zu nehmen und dann zu bewerten, ob bestimmte Grundrechtseingriffe im Hinblick auf den zu erwartenden Nutzen der Maßnahmen angemessen sind. Und sie sollten eine schonungslose Aufdeckung der Faktoren fordern, die zu der derzeitigen Gefährdung beigetragen haben, einschließlich der Mängel bei den Sicherheitsbehörden. Wer neue Befugnisse für Strafermittlungen und Gefahrenabwehr fordert, muss begründen, warum er mit den bestehenden Befugnissen nicht ausgekommen ist.
Auch wenn die Gesetzgebungswelle des Jahres 2001 in den Folgejahren langsam zurückging, führte dies nicht etwa zu einer Rücknahme von einmal den Sicherheitsbehörden eingeräumten Befugnissen. Vielmehr wurden weltweit weitere Einschränkungen von Grundrechten umgesetzt, auch wenn es sich dabei in den meisten Fällen um weniger dramatische Einschnitte handelte als unmittelbar nach den Terroranschlägen im September 2001.
In Deutschland wurden Ende 2006 durch die große Koalition in einem »Terrorbekämpfungsergänzungsgesetz« die 2001/2002 eingeführten Befugnisse verlängert und ausgebaut. Den Nachrichtendiensten wurden zusätzliche Befugnisse zugestanden; insbesondere wurden Möglichkeiten, über die seit 2002 nur der Verfassungsschutz verfügen konnte (die Abfrage von Daten bei privaten Unternehmen), nun auch dem Militärischen Abschirmdienst und dem Bundesnachrichtendienst eingeräumt. Ferner wurden verfahrensrechtliche Sicherungen beseitigt, insbesondere durch die nicht mehr zu erfolgende Einschaltung der G10-Kommission des Deutschen Bundestages bei der Genehmigung bestimmter Datenabfragen. Schließlich wurden die Informationsbestände von Strafverfolgungsbehörden und Geheimdiensten durch die ebenfalls Ende 2006 beschlossene »Antiterrordatei« miteinander vernetzt. Kritiker monierten vor allem, dass die Antiterrordatei den verfassungsrechtlichen Anforderungen, insbesondere hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit und des Trennungsgebots von Polizei und Nachrichtendiensten, widerspreche. Wieder konnten sie sich nicht durchsetzen.
Auch auf europäischer Ebene wurden nach dem 11. September 2001 vielfältige Initiativen gestartet, um die Sicherheitsbehörden europaweit zu stärken und intensiver zu vernetzen. Auf eine Maßnahme, die in der Diskussion besondere Aufmerksamkeit erfahren hat, ist bereits ausführlicher eingegangen worden: die Einführung einer obligatorischen Vorratsdatenspeicherung von Daten der Telekommunikation und des Internets (vgl. 3.3).
Fluggastdaten für die USA
Die Attentate des 11. September 2001 wurden mit Flugzeugen durchgeführt, und die Attentäter reisten per Flugzeug in die USA. Deshalb ist es nachvollziehbar, dass die USA bei ihrem »Krieg gegen den Terror« der Überwachung des Luftverkehrs besondere Bedeutung zuweisen. Allerdings bleibt fraglich, ob sie dabei die Verhältnismäßigkeit gewahrt haben.
Die USA verlangen seit 2003 auf Transatlantikflügen von den Fluggesellschaften die Vorabübermittlung umfangreicher Datensätze von Flugpassagieren. Die Zoll- und Grenzschutzbehörde der USA teilte den Fluggesellschaften damals mit, dass sie ab sofort den US-Behörden den elektronischen Zugriff auf in den Buchungssystemen gespeicherte Fluggastdaten, die Passenger Name Records (PNR), einzuräumen hätten. Andernfalls würden gegen sie Sanktionen ergriffen, bis hin zum Entzug der Landerechte. Die Forderung war besonders gravierend, weil der
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