Das Ende der Privatsphäre: Der Weg in die Überwachungsgesellschaft
deshalb von »dynamischen IP-Adressen«), lassen sich diese zumeist für einige Tage anhand der gespeicherten Protokolldaten identifizieren.
Die Musik- und Filmindustrie hat durch intensive Lobbyarbeit erreicht, dass das Europäischen Parlament 2004 eine EG-Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (sogenannte »IP-Enforcement-Richtlinie«) beschloss, die einen generellen Auskunftsanspruch der »Rechteinhaber« (also der Musik- und Filmindustrie) beinhaltet. Aus Datenschutzsicht problematisch ist dieser Auskunftsanspruch insbesondere gegenüber Internetprovidern, denn er beschränkt sich nicht auf diejenigen, die direkt gegen das Urheberrecht verstoßen haben, weil sie geschütztes Material kopieren oder anbieten. Er umfasst letztlich alle, die an der Verbreitung urheberrechtsgeschützten Materials – wissentlich oder unwissentlich – mitwirken. Dazu gehören etwa Eltern, über deren DSL-Anschluss die Kinder im Internet surfen und dabei an Tauschbörsen teilnehmen, auf denen urheberrechtlich geschütztes Material verbreitet wird.
Dem Interesse der Musikindustrie kommt dabei entgegen, dass die EU – vornehmlich zur Abwehr des internationalen Terrorismus – im Jahr 2006 die Einführung einer mindestens halbjährigen Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsdaten (vgl. 3.3) beschlossen hat, die offenbar auch für Ermittlungen gegen mutmaßliche Urheberrechtsverletzer verwendet werden könnte. Eine wirklich problematische public private partnership!
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Ist die Privatsphäre noch zu retten?
Die in diesem Buch beschriebenen Beispiele und Entwicklungen verdeutlichen, dass der Schutz der Privatsphäre in den letzten Jahren immer weiter zurückgedrängt wurde und diese heute im Kern bedroht ist. Erfolg versprechende Gegenstrategien müssen gleichzeitig bei der Technologie, bei rechtlichen, politischen und wirtschaftlichen Steuerungsmöglichkeiten ansetzen. Konzepte zum Schutz der Privatsphäre werden nur dann den Weg in die Überwachungsgesellschaft verhindern und vielleicht sogar umkehren können, wenn sie technologische und rechtliche Instrumente zusammenführen und dabei auch globale Zusammenhänge nicht aus den Augen verlieren. Im Ergebnis geht es um nicht weniger als die Entwicklung einer globalen Ethik des Informationszeitalters, in deren Mittelpunkt die Bewahrung und Entwicklung der individuellen Selbstbestimmung steht: Verantwortung statt Kontrolle!
Bei den meisten Diskussionen über die Ethik des Informationszeitalters, wie sie etwa anlässlich der »Weltgipfel der Informationsgesellschaft« geführt werden, stehen Fragen des Zugangs zur Informationstechnik und zu Informationen im Mittelpunkt. Dabei geht es zum einen um die soziale Differenzierung der Teilhabe an den Segnungen der Informationsgesellschaft, zum anderen um die Spaltung zwischen Staaten mit hoch entwickelter Informationsinfrastruktur und Entwicklungsländern, in denen die meisten Menschen nicht einmal Zugang zu einem Telefon haben. Beides wird mit dem Schlagwort »digitale Spaltung« (Digital Divide) zusammengefasst. Als Konsequenz hieraus wird – insbesondere von unabhängigen Beobachtern und Kritikern einer ungebremsten, vor allem aus wirtschaftlichen Motiven vorangetriebenen Verbreitung von Informationstechnik – die Forderung nach einem möglichst allgemeinen, ungehinderten und kostenlosen Zugang zu informationstechnischen Systemen abgeleitet.
Es drängt sich die Frage auf: Warum wird der Wahrung der Privatsphäre und dem Datenschutz nicht annähernd die gleiche Aufmerksamkeit gewidmet? Diese Geringschätzung des Schutzes der Privatsphäre überrascht vor allem im Hinblick auf die Bedrohungen, die mit dem Übergang zu allgegenwärtiger Datenverarbeitung und der Umwandlung der technologisch hochgerüsteten Gesellschaften in Überwachungsgesellschaften verbunden sind. Zu diskutieren sind nicht nur die Überwachungstechniken im engeren Sinne (etwa die Videoüberwachung), sondern auch Technologien, bei denen Daten quasi nebenbei im alltäglichen Umgang mit Gebrauchsgegenständen anfallen. Angesichts der rasanten Entwicklung (vgl. 2.3) stellt sich nicht so sehr die Frage nach neuen rechtlichen Regelungsinstrumenten oder technischen Werkzeugen, mit denen sich bestimmte Risiken vermeiden oder verringern lassen. Vielmehr geht es um ethische Grundsatzentscheidungen darüber, wie unsere Gesellschaft mit den Techniken und den dabei entstehenden persönlichen Datenspuren umgehen will. Nur wenn es gelingt, über
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