Das Ende des Dollar-Privilegs
Die D-Mark stieg gegenüber dem Französischen Franc, was für die deutschen Exporteure einen Verlust an Wettbewerbsfähigkeit und für die französischen Politiker einen Gesichtsverlust darstellte. Angesichts der gewaltigen Größe der US-amerikanischen Finanzmärkte hatte dies zur Folge, dass die Deutschen – um es mit den Worten von Otmar Emminger zu sagen, des Bundesbankers, dem wir schon in Kapitel 3 begegnet sind – „mit einem Elefanten im Boot – oder im Bett – saßen“.
Somit ermunterte die Instabilität des Dollars die Europäer, über eine gemeinsame Währung nachzudenken, die sie vor solchen Störungen abschirmen würde. Somit führten die Probleme des Dollars indirekt zur Schaffung einer Alternative – des Euros –, die in der Lage ist, auf der Weltbühne mit ihm zu konkurrieren.
Mit dem Streben nach einer Abschirmung vor destabilisierenden Währungsimpulsen verschmolzen noch andere Motive – ebenso wie mehrere Motive hinter der Schaffung der Federal Reserve gestanden hatten. Anfang der 1990er-Jahre musste Deutschland Frankreichs Zustimmung zur deutschen Wiedervereinigung gewinnen, und da konnte es als Gegenleistung die Währungsunion anbieten. Danach bestand im wiedervereinigten Deutschland der Wunsch nach einer durchsetzungsfähigeren Außenpolitik, die nur im Kontext einer stärker integrierten Europäischen Union verfolgt werden konnte. In Frankreich bestand der Wunsch, einer deutschen Notenbank, welche europaweit die Währungspolitik diktierte, die Währungskontrolle abzuringen. Außerdem wollten die Franzosen in der gaullistischen Tradition eine Währung haben, die dem Dollar Konkurrenz machen kann. Sie schätzten die monetäre Macht aus dem gleichen Grund wie die militärische Macht. Sie wollten sowohl währungstechnisch als auch militärisch weniger abhängig von den Vereinigten Staaten sein. Der Euro war ihre währungstechnische Force de frappe.
Das Ende des Kalten Krieges spielte ihnen in die Hände. Frankreich hatte schon immer eine europäische Abschreckung und eine von den Vereinigten Staaten unabhängige Verteidigungsallianz angestrebt. Doch solange in den Wäldern um Berlin sowjetische Truppen lauerten, war Westdeutschland vom amerikanischen Verteidigungsschirm abhängig. Es war der „gehorsame Verbündete“. 108 Wenn die Vereinigten Staaten die Bundesrepublik baten, den Dollar zu stützen, dann tat sie es. Und wenn Paris Pläne für die Schaffung einer europäischen Alternative anbot, zögerte Bonn. Mit dem Ende des Kalten Krieges und dem Zusammenbruch der Sowjetunion änderte sich das. Dies ist eine Mahnung, wie außergewöhnlich das halbe Jahrhundert nach 1945 war, in dem der Dollar unangefochten regierte.
Bis in die 1970er-Jahre hinein lieferte das Bretton-Woods-System Europa die Währungsstabilität, die es brauchte. Die Stabilisierung der europäischen Währungen gegen den Dollar stabilisierte sie auch gegeneinander. Die Vollendung des gemeinsamen Marktes, die Europa 1968 vollzog, wäre schwieriger gewesen, wenn es Währungsschwankungen gegeben hätte. Die Geschäfte von Importeuren und Exporteuren wären dadurch gestört worden. Den Staaten wäre es schwerer gefallen, Handelsschranken abzubauen und einen gemeinsamen Außenzoll einzurichten.
Es wäre ihnen auch schwerer gefallen, die Ausgleichszahlungen zu leisten, die notwendig waren, um sich von den agrarwirtschaftlichen Gegnern des gemeinsamen Marktes freizukaufen. Europas weniger produktive Bauern sahen im gemeinsamen Markt für landwirtschaftliche Produkte eine Bedrohung. Ihre Lobby war so stark, dass man sie nicht ignorieren konnte, und als Gegner hätten sie das europäische Projekt torpedieren können. Als sie offiziell verordnete Preise verlangten, stimmten die Regierungen zu. Aber das konnte keine Regierung auf eigene Faust leisten. Wenn Frankreich versucht hätte, höhere Getreidepreise als in anderen Ländern des gemeinsamen Marktes festzulegen, wäre es mit Getreide aus anderen Mitgliedstaaten überschwemmt worden. Deshalb wurde eine gemeinsame Agrarpolitik ins Leben gerufen, in deren Rahmen die Mitglieder ihre Agrarpreise harmonisierten. Aber da der französische Staat sie in Francs, der deutsche in D-Mark und andere Mitglieder der Gemeinschaft in ihren jeweiligen Währungen festlegten, hätten ungeregelte Währungskursschwankungen das System ruiniert. Und wieder kam Bretton Woods zu Hilfe. Daher war es vorhersehbar, dass die ersten wesentlichen Schritte in Richtung einer gemeinsamen europäischen
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