Das Ende des Dollar-Privilegs
exakt 7,9 Prozent abgewertet werden sollte, also ein bisschen weniger, als sich die Vereinigten Staaten erhofft hatten. Nixon sah erschöpft aus und brachte bei der abschließenden Pressekonferenz seinen Text durcheinander. Er war in den Nächten zwischen den zweitägigen Gesprächen meistens wach geblieben und hatte sich auf dem Militärsender AFRS das Football-Spiel der Washington Redskins gegen die Los Angeles Rams angehört. Pompidou war hingegen in guter Verfassung. Nach der Pressekonferenz zog er sich auf einen Aperitif und weitere Wortgeplänkel mit Reportern in das Hotel Angra, das einzige Hotel der Stadt, zurück. 114
Bei einem Treffen im Castle Building der Smithsonian Institution am 17. und 18. Dezember wurden weitere Länder ins Boot geholt. Ihre Vereinbarung hing von der Bereitschaft Deutschlands ab, seine Währung um mehr als Nixons und Pompidous 7,9 Prozent aufzuwerten, damit andere Länder mit schwächerer Wirtschaft nicht so stark aufzuwerten brauchten. Nach einem schwierigen Telefonat mit Brandt zu Hause in Bonn stimmte Wirtschaftsminister Schiller zu, die D-Mark um 14 Prozent aufzuwerten. Das war die letzte Handlung des gehorsamen Verbündeten.
Die Verteidigung der Bretton-Woods-Kurse war kostspielig gewesen. Deutschland und die Niederlande hatten haufenweise Dollar gekauft, bevor sie ihre Kurse freigegeben hatten, und deshalb hatte ihnen die Abwertung des Dollars große Verluste beschert. Da sie keine echte Änderung der US-Politik sahen, widerstrebte es ihnen verständlicherweise, sich wieder in diese Ecke drängen zu lassen. Im Smithsonian bestanden sie deshalb darauf, dass die Klausel von Bretton Woods, wonach Kurse nur um ein Prozent nach oben oder unten schwanken durften, durch einen lockereren Bereich von plusminus 2,25 ersetzt werden sollte. 115
Dieses flexiblere Arrangement nahm zwar etwas den Druck, Dollar zu kaufen, erzeugte aber andere Probleme. Wenn die D-Mark um die vollen 2,25 Prozent steigen und der Dollar um den gleichen Betrag fallen würde – und wenn dann der Franc das Gegenteil tun würde, dann würde der D-Mark/Franc-Kurs um neun Prozent steigen, was die gemeinsame europäische Agrarpolitik massiv stören und dem deutschen verarbeitenden Gewerbe Probleme bereiten würde. Diese Gefahr bewahrheitete sich 1972, als Arthur Burns dem Druck von Nixon nachgab, die Zinsen zu senken. 116 Die niedrigeren Zinsen der Vereinigten Staaten führten dazu, dass der Dollar nachgab und wieder Kapital nach Deutschland floss. Es musste etwas getan werden. Im März 1972 geschah das auch: Die europäischen Länder kamen überein, ihre bilateralen Wechselkurse in engeren Grenzen zu halten. Das war nicht das erste Mal, dass eine unberechenbare Politik der Vereinigten Staaten Europa zur Währungskooperation zwang. Das neue System orientierte sich an der D-Mark und daran nahmen die sechs EWG-Länder, die drei Beitrittskandidaten (Dänemark, Irland und das Vereinigte Königreich) und Norwegen teil (dazu mag die Tatsache beigetragen haben, dass Kanzler Brandt Norwegisch sprach). 117
Die Teilnehmerländer richteten im Endeffekt innerhalb der breiten Bänder aus dem Smithsonian schmalere Bänder für ihre eigenen Währungen ein. Dieses Arrangement wurde ungeschickt als „Schlange im Tunnel“ oder einfach „Währungsschlange“ bezeichnet, was bildlich bedeuten sollte, dass eine europäische Schlange durch den Smithsonian-Tunnel glitt. Als dieser Tunnel 1973 einstürzte und der Dollar frei zu schwanken begann, wurde die Schlange im Tunnel zur Schlange im See. Da die sehr offenen Volkswirtschaften Belgien und Luxemburg eine noch schmalere Bandbreite bevorzugten, wurde ihre Schlange zum Wurm, der sich durch den Bauch der Schlange wand.
Aber allein die Aussage, dass man die Wechselkurse innerhalb eines schmalen Bands halten will, macht noch nicht, dass das auch passiert. Vielmehr muss die Währungs- und Steuerpolitik entsprechend angepasst werden. Wenn Spekulanten gegen eine Währung wetten, müssen die Zentralbanken diese Währung stützen, wobei die Unterstützung sowohl aus Ländern mit starker Währung als auch aus Ländern mit schwacher Währung kommen muss. Zwar bediente sich Europa der Sprache der Kooperation, aber als die Währungsschlange eingerichtet wurde, war keine dieser Vorbedingungen gegeben. Die Länder setzten ihre Steuer- und Währungsgewohnheiten munter fort. Dänemark und das Vereinigte Königreich wurden fast sofort wieder aus der Vereinbarung gedrängt. 118 Als die Vereinigten
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