Das Ende
Nacht. Luftalarm. Scud-Raketen. Das Rumfummeln an seiner Gasmaske. Zwei weitere Male Alarm. Kein Schlaf,
kein Essen, nur Getränke. Seine Schutzweste, seine Gasmaske und fast vierzig Grad im Schatten. Die Schlacht eine tödliche Sauna. Verwirrung, als sein Körper nicht mehr mitspielt. Angst, als die Sanitäter ihm die Weste herunterreißen und seinen Körper mit Flüssigkeit versorgen.
Bagdad. Die Stille, die von einer feuernden AK-47 zerrissen wird, deren Kugeln ganz in der Nähe einschlagen. Willkommen an der Front, Grünschnabel. 155-Millimeter-Granaten, die einen bis auf die Knochen durchschütteln. Das Klingeln in den Ohren. Weißer Phosphor, Öl und das Brennen in der Nase.
Blut, das aus dem Körper eines verwundeten Kameraden strömt. Er stirbt, während Shep versucht, das tödliche Loch in der Brust zu verbinden. Eine irakische Mutter, die ihre Kinder umklammert … Die Kleinen haben beide Arme verloren … Ein Mann, der seine abgeschlachtete Frau in den Armen hält … Ein Kind, das sich an seiner leblosen Mutter festhält. Die Politiker werden niemals zulassen, dass seine Landsleute diesen Krieg so sehen, wie er ist. Diese Realität würde die Leute auf die Straße treiben und einen Friedensschluss erzwingen.
Für den neu angekommenen Soldaten verdrängt die Erfahrung der Schlacht den Hass und ersetzt ihn durch Zweifel, sie verdrängt den Patriotismus und ersetzt ihn durch Fragen.
Seine Heimat ist eine Million Kilometer entfernt, die Schlacht ist eine Insel aus Einsamkeit, Angst und Verwirrung – Verwirrung angesichts der Fragen nach Recht und Unrecht, Gut und Böse. Jeder Augenblick, der vergeht, verändert das moralische Empfinden. Am Ende werden die Regeln ganz einfach: Wenn du wieder nach Hause kommen willst, musst du überleben.
Um zu überleben, musst du töten.
Das Dorf liegt am Euphrat. Die Bevölkerung besteht größtenteils aus Bauern, von denen die meisten noch nie zuvor einen Amerikaner gesehen haben. Der Mann und sein Sohn stürmen auf Patrick zu, ihre Absichten sind so undurchschaubar wie die Worte, die sie ihm auf Farsi zurufen. Er gibt ihnen durch Gesten zu verstehen, dass sie stehen bleiben sollen, doch die beiden ignorieren diese unzureichende Übersetzung seiner Absichten. Die Entfernung verringert sich immer mehr, und die Gefahr einer versteckten Bombe wird immer größer, als er in ihren Tötungsbereich gerät.
In einem Feuerstoß schießt heißes Blei aus seiner Waffe. Der Vater stürzt zu Boden.
Der Sohn – er ist höchstens neun – kniet ungläubig neben seinem ermordeten Vater nieder, nur langsam begreift er, was gerade geschehen ist … und dieses Begreifen wird zu rasender Wut. Der irakische Junge stürmt auf den fremden Eroberer los, der ihm den Vater und damit vielleicht sogar alles, was er noch an Familie besaß, genommen hat – und das im Namen eines Auftrags, den er unmöglich begreifen kann.
Das Leben wird in einem einzigen Augenblick empfangen, und das Leben endet in einem einzigen Augenblick. Die Nähe des Jungen definiert ihn als Bedrohung. Die Regeln des Überlebens sind einfach.
Patrick erschießt den Jungen und vereint ihn mit seinem Vater.
Die Zeit vergeht in einem Vakuum. Wahrscheinlich erleben Tiere die Dinge auf ähnliche Art. Shep hat sich in ein primitiv grunzendes Geschöpf verwandelt, in ein Werkzeug des militärischen Establishments, von dem man zwar Gebrauch macht, das jedoch von der Presse nie interviewt werden wird. Das man sieht, das jedoch nie eine eigene Stimme erhält. Der Tag wird zur Nacht, die Träume von einem besseren Leben verwandeln sich nach und nach in Albträume, die der Seele das
Eingeständnis ihrer Verantwortlichkeit abverlangen. Alle Gedanken kreisen um das eigene Überleben – was die oberen Ränge schon immer beabsichtigt hatten. Kreativität wird ebenso beiseitegewischt wie das Gesicht der eigenen Frau und die Gedanken an das Kind, das er nie wieder in seinen Armen halten wird – eine Beziehung, die abrupt beendet wird, kaum dass sie begonnen hat.
Die Landschaft verändert sich. Der erste Einsatz ist vorüber. Zwei Wochen, um das Gift aus den Adern zu bekommen, um wieder vorgeben zu können, Patrick Shepherd zu sein, und dann ist er zurück in Boston …
… allein.
Das Stadthaus ist kalt und leer. Seine Frau und seine Tochter haben es schon lange verlassen. Es gibt keinen Abschiedsbrief, doch der Soldat kennt die Geschichte bereits: Das Elend, das er gesät hat, muss er jetzt ernten.
Die Wirklichkeit stürmt auf
Weitere Kostenlose Bücher