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Das entschwundene Land

Das entschwundene Land

Titel: Das entschwundene Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Lindgren
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gewärmt hab!«
    Jetzt konnte er sie nicht mehr wärmen. Aber er lebte weiter.
    »Manche gehn voraus und manche kommen nach«, sagte er, »dagegen können wir nichts tun.« Er hatte ein wunderliches Vertrauen in das Leben, eine Lebensfreude und die tröstliche Gewißheit eines kün f ti gen Lebens, und deshalb konnte nic ht einmal Hannas Tod ihn zerbre chen.
    Er fuhr fort, sie zu lieben und von ihr zu sprechen und all ihre Tugenden zu preisen. Er tat es noch, als er 94 Jahre alt war und heiter und zufrieden in seinem Bett in dem Pflegeheim lag, das seine letzte Station hier auf Erden wurde.
    » Du, Kind, eine solche Mutter, wie du gehabt hast!« sagte er, als ich ihn zum letztenmal besuchte.
    Ja, ganz gewiß habe ich das! Und einen solchen Vater! Mit eine m so treu liebenden Herzen, einem bis in den Tod liebenden Herzen!
    Und mit einer solchen Freude a m Erzählen. Wie gut, daß er sie hatte, denn sonst wüßte ich nicht, wie es damals vor langer Zeit mit Samuel August von Sevedstorp und Hanna in Hult gewesen ist.
    An einem Abend im Juli 1969 starb Samuel August. Zutiefst überzeugt davon, daß er Hanna wiedersehen werde.
    Ich kann sie beide vor mir sehen. Dort oben in den himmlischen Wohnungen. Bestimmt wächst dort in einer Ecke von Gottes Garten auch eine Traueresche, und darunter sitzen sie. Und er hält ihre Hände, so wie er es immer getan hat, und sagt mit seiner liebevollsten Stimme:
    »Meine kleine lnniggeliebte, hier sitzen wir nun, du und ich, und haben's schön!«
    »Meine lieben Eltern!
Euer Kind sendet Euch hiermit
seines Herzens demütigen u nd innigsten Dank für alles. «
    Das entschwundene Land
    Harry Martinson hat ein Gedicht geschrieben, das mir sehr gefällt. Es beginnt so: »Gedenk' ich der Mägde der Kindheit ...« Vieler verschiedener gedenkt er:
    Da war di e gitarrenklagende Himmelsmagd, auch die schlampige Tanzlüsterne gab es.
Und die schnippische Matrosenmagd,
Fetischanbeterin der Marineuniformen.
Seltsamer aber war des Herbstdunkels verzaubert Schmachtende,
die sich bückte und pumpte, bückte und pumpte
die milchbrüllende Alfa-Laval.
Spiegelndes Herdfeuer
in staunenden Augen.
    So eine milchbrüllende Zentrifuge, Marke Alfa - Laval, hatten auch wir in unserer Küche, als ich noch Kind war, und an diese »Alfa- Laval« erinnere ich mich deshalb, weil ich einmal feststellen wollte, was mit meinem Mittelfinger geschieht, wenn ich ihn in diesen kleinen, sich im Separator drehenden Kreisel steckte. Daß der Finger mehr o der weniger zu Mus werden würde, war mir klar, trotzdem wollte ich mich davon überzeugen, ob es wirklich so war. Und schau an, es war wirklich so! 0 ja, an die »Alfa-Laval« erinnere ich mich noch gut! Besser aber noch an die Mägde, die sie bedienten. Ja, auch ich gedenke der Mägde der Kindheit. Und es stimmt schon, wenn Martinson sagt:
    viele Mägde saßen
mit hängenden Seelen,
viele auch voller Stolz,
w undersam kinderliebe Frauen
mit brummig melodischen Stimmen,
murmelnd wie aus Mythen.
    Genauso war es, und was haben diese wundersam kinderlieben Frauen nicht für alle die bedeutet, denen ihr mythisches Gemurmel die Kinderohren füllte. Ausschließlich mythisches Gemurmel war es im übrigen nicht, die Mägde der Kindheit lehrten uns in klaren Worten auch das eine und andere, was nicht in Büchern zu lesen war.
    Als Kind hatte man nicht Verstand genug, ihnen für ihre Fürsorge dankbar zu sein, sondern trieb mit ihnen, soweit ich mich erinnern kann, nur Unfug: lief, ohne zu überlegen, mit nassen, schmutzigen Stie feln über ihre frisch gescheuer ten Küchendielen, machte sich mit dummen, selbsterdachten Witzen über ihre verschiedenen Bräutigame lustig, brachte sie bis zur Weißglut dadurch, daß man in ihren Liebesbriefen herumschmökerte und ausgewählte Stellen kichernd vorlas – » U h, einen glühenden Ku s s auf deine rosaroten Lippen drü c ken«, hihi, der kann ja wohl nicht bei Trost sein – , und das allerschlimmste, in kindlicher Grausamkeit und Einfalt brachte man sie um ihre spärlichen Liebesstunden, die es ja nur dann geben konnte, wenn die Brotgeber abends einmal irgendwo eingeladen waren. Nur dann konnte ein Bräutigam in der stockfinsteren Küche Einlaß finden, nur dann konnte das Liebespaar auf der Küchenbank sitzen und sich ungestört ein wenig liebkosen. Ungestört, na ich danke! Dann kamen nämlich auf nackten Füßen die Bälger aus ihren Betten angetapst, plötzlich stand in jedem Winkel eins. Sie schlichen und krochen

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