Das entschwundene Land
im Wege war.
Rundum in den kleinen Hütten wohnten auch solche Leute, die dem Leben in den Augen eines unwissenden und neugierigen Kindes Farbe und Saft und Kraft verliehen. Wir gingen mit größtem Vergnügen »auf Besuch«, ungebeten und wann es uns einfiel. Man brauchte nur ein Stück c hen durch den Wald zu laufen, dann kam man nach Stenbäcksroten, wo es in den winzigen Stuben nur so von Leben wimmelte, das uns unfaßbar interessant erschien. Viele Stiefkinder des Kirchspiels wohnten dort, viele von der Sorte, die in den Kirchenbüchern als »verarmt« geführt wurden und die sich durchschlagen mußten, so gut es ging. Aber auch andere gab es da wohl, denen es ein wenig besser ging. Vor allem gab es da Ida in Liljerum und Mari in Vendladal. Sie wohnten nebeneinander in zwei kleinen Häuschen, und sie beide überfielen wir am liebsten. Uns erschienen sie wie liebe, alte Mütterchen aus einem Märchen, und suchten wir sie heim, bewirteten sie uns auch märchenhaft mit Waffeln und GitarrenspieL Aber in den Märchen gab es ja auch böse Hexen, und das war in Stenbäcksroten nicht anders. Unmittelbar neben den Guten wohnten die Bösen. Es waren die »Kaffeeweibsen«, die, so hieß es, durch allzu hemmungsloses Kaffeetrinken den Verstand verloren hatten. Die Kaffeeweibsen haßten Kinder, das wußten wir. Wenn man ihre Häuschen auch nur mit dem Finger antippte, kamen sie herausgestürzt und verbrühten einen mit kochendem Wasser, auch das wußten wir. Und darum schlichen wir dort ständig herum und tippten mit dem Finger an ihre Häuser, ja, denn wir mußten doch feststellen, ob es stimmte. Dann aber nahmen wir Reißaus und wetzten so schnell zu Ida in Liljerum, daß den Kaffeeweibsen kaum Zeit blieb, das Wasser aufzusetzen.
Sogar eine »Jungfer Untugendsam« gab es in Stenbäcksroten, eine gutmütige, fröhliche Seele, die dauernd lachte und alle Kinder, die sie bekam, hegte und pflegte. Wir kannten sie, weil sie zu Haus bei der Großen Wäsche half. Tauchte dort hin und wieder eine Mannsperson auf und strich um das Waschhaus herum, verließ sie ihren Zuber für ein Weilchen und sagte nach ihrer Rückkehr zufrieden:
»Nee, wie lei cht man sich doch 'ne Krone ver dienen kann!«
Sie wußte ja nur allzu gut, wie schwer man sich sonst für dies e Summe plagen muß. Zu guter Let zt heiratete sie und wurde genauso ehrbar wie manch andere. Ihre mittlerweile herangewachsenen Kinder aber betrugen sich nicht so, wie sie es für schicklich hielt. Deshalb ging sie zum Pfarrer und fragte ihn:
»Nu sagen Sie mal, Herr Pfarrer, ist es nicht Sitte und Brauch, daß Kinder ihrer Mutter ein Hochzeitsgeschenk machen, wenn sie heiratet?«
Sie wünschte, daß alles korrekt zuging und so, wie es Sitte und Brauch war.
Auch die Landstreicher gehörten zu unserer Kindheit, wo sind sie geblieben? Gibt es heutzutage noch einen, oder ist der letzte Landstreicher gleichzeitig mit dem Wiesenknarrer und dem letzten Ochsengespann verschwunden? Auf unserem Heuboden übernachteten ständig Landstreicher. In der Däm m erung kamen sie an die Küchentür und handelten ein wenig Milch und Brot ein, und wir starrten sie an, man stelle sich vor: es gab Leute, die nirgends wohnten, die immer nur gingen und gingen! Die m eisten von ihnen waren still und harmlos, manche vergnügt und redselig und ein paar reizbar und streitsüchtig, und sie jagten uns einen Todesschrecken ein, wenn sie ihr Messer zogen. Mit den Landstreichern wehte ein Hauch von Abenteuer in unsere bäuerliche Welt. Etwas an ihnen lockte und war gleichzeitig gefährlich, oh, mein Gott, wenn sie uns nun den Kuhstall anzündeten, so was hatten Landstreicher schon getan, davon hatte man gehört! Aber bei uns geschah es nie. Unser Kuhstall stand noch bis vor kurzer Zeit, und da war es die Stadt Vimmerby, die ihn, um ihr Gebiet zu erweitern, anzünden ließ, und in einer mächtigen, prasselnden Feuersbrunst verschwand das Gebäude, wo einst Kraka und Rölla und Docka und Monalisa gestanden und ihr Heu gekaut und wo so viele Kinder gespielt und so viele Landstreicher auf dem Heuboden übernachtet hatten.
Aber nicht nur die Landstreicher waren unterwegs. Wenn der Frühling kam, wagten sich auch die Armenhäusler hinaus in den Sonnenschein. Ja, im Volksmund sprach man immer noch vom Armenhaus, wie sehr man sich auch bemühte, es in Altersheim umzutaufen. Häufig waren es die »Jämmerlinge«, die ihren Verstand verloren oder nie welchen gehabt hatten, Jocke Kis und Johan - Ein-Öre und
Weitere Kostenlose Bücher