Das entschwundene Land
kichernd umher, und wurden die Plagegeister endlich erwischt und von einer rasenden Furie aus der Küche gejagt, so daß die weißen Nachthemden nur so flatterten, dann erstickten sie fast vor quiekendem Gelächter, denn sie nahmen natürlich an, daß sie, die sie jagte, das alles ebenfalls höchst vergnüglich fand. Daß sie dies glaubten, ist auch das einzige, was sich zu ihrer Entschuldigung sagen läßt.
Aber nicht nur die Mägde waren kinderlieb, die Knechte waren es oft nicht minder. Viele der Knechte und Mägde meiner Kindheit waren ja in einem Alter, da sie schon ein eigenes Heim hätten haben müssen und eigene Kinder, denen sie ihre Zärtlichkeit schenken konnten. Nun mußten sie sich mit den Kindern des Hofes begnügen, und nicht selten wählten sie sich eins aus der Schar aus, das sie besonders ins Herz schlossen und mit kleinen Gaben bedachten, wohl um das Gefühl zu haben, jemandem etwas zu bedeuten. Viel nannten sie ja nicht ihr eigen, meistens nicht einmal einen Schlafplatz. Die Knechtekammer bei uns war eine Giebelstube über der Tischlerwerkstatt. Dort standen zwei Ausziehbetten, wo sich bisweilen vier Knechte, so gut es nun ging, den Platz teilen mußten. Die Magd oder die Mägde – oft waren es zwei – schliefen im Winter auf der Ausziehbank in der Küche und im Sommer oben auf dem Dachboden in einem Klappergestell von Bett, das wir » Die Schubse« nannten. Einen Winkel, der ihnen allein gehörte, hatten sie nicht. Aber sie teilten Freud und Leid mit der Familie und kamen wohl gar nicht auf den Gedanken, sich ein anderes oder besseres Los zu wünschen als die Knechte oder Mägde sonst. Ich denke an sie mit Zuneigung, an sie und all die anderen, die dazu beigetragen haben, meine Kindheit zu dem zu machen, was sie gewesen ist. Es waren viele, denn als ich Kind war, kurz bevor die Zeit der Häusler und Instleute zu Ende ging, wurden in einem landwirtschaftlichen Betrieb noch viele Hände gebraucht. Sie kamen aus ihren Katen und Hütten, um bei uns als Tagelöhner zu arbeiten. Ja, das hört sich an, als handele es sich um ein großes Gut, aber das war es beileibe nicht. Es war nur ein ganz normaler kleiner Pachthof der Pfarrei, und wenn ich sage, daß ich als Kind » viele« Menschen um mich hatte, so meine ich das im Vergleich zu heutigen Kindern, egal ob auf dem Lande oder in der Stadt. Für ein Kind war es interessant und lehrreich, mit Menschen unterschiedlicher Art und Eigenheiten und Altersgruppen aufzuwachsen. Von ihnen lernte ich – ohne daß sie oder ich es gewußt hätten – , daß das Leben Bedingungen unterworfen ist und wie schwierig es manchmal ist, Mensch zu sein. Aber auch andere Dinge lernte ich von diesen Menschen, denn nur weil vielleicht zufällig ein Kind in der Nähe war, nahm man damals kein Blatt vor den Mund. Und meine Geschwister und ich, wir waren in der Nähe, denn wir mußten ihnen ja den Kaffee aufs Feld bringen. An diese Kaffeepausen erinnere ich mich am besten, daran, wie sie alle am Feldrain saßen, Kaffee tranken, ihre Butterbrote hineintunkten und über so mancherlei ihre Gedanken austauschten. Viele kluge Worte schnappte man da auf, und ich weiß nicht, warum mir manche all die Jahre hindurch so beharrlich in Erinnerung geblieben sind, wo so viel anderes für immer vergessen ist. Warum zum Beispiel erinnere ich mich bis in alle Ewigkeit an Fregges vernichtendes Urteil über Eisenmedizin, als man den Nutzen derartiger Arzneien einmal diskutierte? »Bleib mir doch vom Leib mit Eisenmedutzin«, sagte Fregge. »Man scheißt 'n bißchen schwärzer die e rsten Ta ge, das is auch alles!«
Und das soll eine Kindheitserinnerung sein, die hervorzukramen sich lohnt? Nein, vielleicht nicht. Aber viele meiner Erinnerungen bestehen aus derartigen Äußerungen, und sie helfen mir, mich der Menschen, die sie taten, und der Situationen, in der sie fielen, zu entsinnen.
Manch m .al wurde in diesen Kaffeepausen auch über Politik geredet, denn es war ja die Zeit des Ersten Weltkrieges. Die meisten hielten es mit den Deutschen und glaubten, sie würden gewin nen. Als aber in der Zeitung stand, daß wir in Schweden den Engländern nicht erlauben wollten, auf Gotland Kohlenvorräte anzulegen, da fand Svente, unser alter Kuhknecht, daß man die Ungefälligkeit denn doch ein bißchen weit treibe. »Was gibt's denn da groß zu reden, sollen die da doch ruhig 'n bißchen Kohle lagern«, sagte er und sah wohl an irgendeinem Plätzchen ein Kohlenhäuflein vor sich, wo es nicht direkt
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