Das entschwundene Land
Elin-Verrückt und wie sie nun genannt wurden. Ein erbärmliches Leben hatten sie, Elin-Verrückt zum Beispiel wollte so gerne Schluß damit machen, wagte es aber nicht. »Denn dann fährt man vielleicht zur Höll', und da sitzt man dann und grämt sich«, sagte Elin und weinte. Spottnamen hatten sie alle miteinander, und Jocke Kis war sehr verbittert über seinen. »Anders Johan Norling, Nachdruck verboten«, erklärte er, daß er heiße, und wenn die Straßengören von Vimmerby ihm trotzdem » Jocke Kis « nachriefen, schrie er zurück: »Euch sollte man jocken und kisen, euch sollte man abschaffen!« Daß Jocke Kis Kinder nicht leiden mochte, war nur zu verständlich, und tauchte er auf, scheuchte uns unsere Mutter immer aus der Küche. Einarmig und verlaust war Jocke Kis und angetan mit einem unbeschreiblichen gelben Überzieher. Alles Eßbare, was er auf seinen Bettelgängen bekam, stopfte er in die Taschen dieses Überziehers, und da die Taschen zerrissen waren, sammelte sich der ganze Vorrat zwischen Stoff und Futter und lag wie eine gewaltige Wurst rund um Jocke Kis.
Diese armen »Jämmerlinge«, so viel Bosheit mußten sie ausstehen! Die Menschen sind grausam gegen den, der sich nicht wehren kann. Der Vorsteher des Armenhauses, wo Johan-Ein-Öre seine Tage verbrachte, beschloß, Johan endlich seine Bettelei abzugewöhnen, und deshalb spannte er eines Abends einen Strick über den Weg, und als Johan im Dunkeln heimgeschlurft kam, stolperte er und fiel auf die Nase. Gleichzeitig erhob sich aus dem Graben eine grausliche weiße Gestalt, es war der in Laken gehüllte Vorsteher. Und weißer im Gesicht als diese Laken kam Johan in seinem Spittel an und antwortete auf alle Fragen nur: »Hab den Leibhaft'gen gesehn!«
Über diese Geschichte wurde viel gelacht, manch einer fand, der Vorsteher habe sich da wirklich etwas Pfiffiges ausgedacht, um Johan das Betteln auszutreiben. Und doch bat er nie um mehr als ein Öre, daher hatte er auch seinen Namen.
Unser näch ster Nachbar und auch unsere Ob rigkeit war der Pfarrer, und in seinem schönen, weißen Pfarrhaus waren wir oft und guckten uns dort ein bißchen ab, w i e man sich in besseren Häusern benimmt. Wir gehörten ja, wie m ein Vater es nannte, zum »ungehobelten Bauernvolk«, da war das Abgucken also schon nötig. Immerhin war es, wenn man meinem Vater glauben durfte, besser, dem ungehobelten Bauernvolk anzugehören, als ein Städter zu sein. Die Stadt Vimmerby lag ja sozusagen vor unserer Haustür. Es war eine vornehme, alte Kleinstadt mit altertümlichen Häusern und hoppeligem Kopfsteinpflaster und einem hübschen, großen Marktplatz mit lebhaftem Handel, wo man sich auf dem Wochenmarkt oder dem Jahrmarkt bei den Bon bontanten, die dort an ihren Ständen saßen , eine Tüte hausgemachter Lutscher kaufen konnte.
Nein, viel war nach Ansicht meines Vaters von den Städtern nicht zu halten. »Richtige Proselyten« nannte er sie, betrachtete sie aber mit der ihm angeborenen Milde und belustigten Nachsicht: auch sie hatten das Recht zu leben.
Die für die Stadt- und Landgemeinde gemeinsame Kirche lag in der Stadt, und da unser Vater Kirchenältester war, hatten auch wir Kinder so einigermaßen kirchlich zu sein. Ich für mein Teil konnte zwar nicht einsehen, was das Ganze sollte, denn ich begriff nicht die Spur von all den seltsamen Wörtern, die von der Kanzel herunterströmten. Beunruhigt fragte ich meinen Bruder:
»Gunnar, verstehst du, was der Pfarrer gesagt hat?«- »Nee«, antwortete Gunnar tröstend, »das tut keiner, glaub mir!« Ja, und damit war mein Gewissen beschwichtigt, und ich dachte an anderes. In die Sonntagsschule gingen wir auch, und das jeden Sonntag, den Gott werden ließ. Nun waren ja Sonntage, so wie ich die Sache sah, ohnehin einzig und allein dazu da, sich zu langweilen, und das erklärte auch, warum es die Sonntagsschule gab. Nur das Sonntagsschulfest u m strahlte ein gewisser Glanz, denn da kriegte man eine Tüte mit einem Apfel, ein paar Bonbons und Nüssen geschenkt, und dazu eine Sonntagsschulzeitung mit wunderbar traurigen Erzählungen von armen Schluckern, die den Pfad der Sünde wandelten, mit der Zeit aber – und das häufig durch das Eingreifen eines fro m men Kindleins – bekehrt wurden und sich besserten. Drei nette Lehrer hatten wir in der Sonntagsschule, Karlsson, Johansson und Svensson hießen sie, aber mein Bruder behauptete, sie seien Vater, Sohn und Heiliger Geist, und wie üblich glaubte ich ihm. Dies verkürzte
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