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Das entschwundene Land

Das entschwundene Land

Titel: Das entschwundene Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Lindgren
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und erleichterte die Stunden freilich auch nicht, nein, für Sonntage hatte ich nichts übrig. Was war auch schon von einem Tag zu erwarten, der damit begann, daß man frisch gewaschene, grobe schwarze Wollstrümpfe anziehen mu ßte. Sie waren aus handgesponnener Wolle gestrickt, und ich war überzeugt davon, daß sie einzig zu dem Zweck angefertigt waren, Kindern in die Kniekehlen zu pieken. Kratzige Strickstrümpfe und Sonntagsschule, beides auf einmal war zuviel, das war meine Ansicht darüber. Auch wenn ich es nicht rundheraus zu sagen wagte. wie ein anderes kleines Mädchen, das sich lange damit abmühte, »Ein reines Herz, Herr, schaff in mir« zu lernen: »Nee«, sagte sie, »d as ist aber langweilig, wir sin gen lieber den Schunkelwalzer!«
    Daß ich die Sonntagsschule nicht mochte, bedeutet noch nicht, d aß ich eine verstockte Ketzerin gewesen wäre, im Gegenteil. Sowohl ich als auch meine Geschwister wollten gerne rechte Gotteskinder sein, genau wie die schwarze kleine Sara und andere Märtyrer zarten Alters, von denen in so vielen Liedern die Rede war. Wir glaubten innig an Gott. Allabendlich scharten wir uns im Schlafzimmer um unsere Mutter, sprachen unsere Abendgebete und sangen »Breit aus die Flügel beide«, bevor wir in die Federn krochen. Mehr noch als wir anderen war meine Schwester Stina ein Gotteskind. Als sie durch listige Fragen dahinterkam, daß unser aller geliebter Pelle, unser Großknecht und Pferdebursche, abends nicht betete, machte sie sich sofort daran, von Stund an abends einen doppelten Satz Gebete herzusagen, eine Runde fü r sich selber und eine für Pelle. Um ihn vor ewiger Strafe zu retten. Die ewige Strafe nämlich konnte man nicht vergessen. Auch an den Teufel glaubten wir und wa r en sogar recht interessiert an ihm. Von unserem alten Knecht hörten wir, daß sich, wenn man nachts um zwölf Uhr zwölfmal um die Leichenhalle auf dem Friedhof lief, der Teufel in all seiner Grauslichkeit zeigen würde. »Dann ist's passiert, dann kommt der Leibhaft'ge und holt einen«, das stehe fest. Ob es sich wirklich so verhielt, mußte natürlich untersucht werden, genauso wie die vermeintlichen Gräueltaten der Kaffeeweibsen. Ich glaube, daß wir ein gut Teil unserer Zeit damit verbrachten, festzustellen, was in dieser Welt wahr war und was nicht. An einem dunklen Herbstabend machten wir uns also auf zum Friedhof, Stina und ich. Zwölfmal liefen wir um die Leichenhalle, aber kein Leibha ftig er zeigte sich. Ja hatten wir das denn tatsächlich erwartet, die Uhr war ja erst neun! Natürlich sahen wir ein, daß der Leibha ftig e sich streng an seine gewohnte Spukstunde zu halten hatte und nicht gut eine Ausnahme machen konnte, nur weil wir nicht so spät draußen sein durften.
    Dennoch wanderten wir leicht enttäuscht durch die stockfinstere Pfarrhofsallee. Im Dunkeln fürchteten wir uns trotz aller Spuk- und Schauergeschichten, mit denen wir aufgewachsen waren, nie. Es hieß, daß in der Pfarrhofsallee die Schwarze Frau spuke. Es stand sogar in der Zeitung, und einmal kam ein ganzes Nähkränzchen angereist, um sie zu besichtigen. Sie fragten Pelle, wann sie zu erwarten se i . »Die hat schon ihre letzte Tour gemacht, die kommt heut nicht mehr«, sagte Pelle, der an Gespenster nicht glaubte und für Nähkränzchendamen nicht sonderlich viel übrig hatte.
    Aber für Kinder hatte er etwas übrig und wir für ihn. Er war herzensgut und lieb. Mit ihm konnte man umspringen, wie man wollte. Tobte man al lzu wild herum, sagte er nur: » Könnt ihr auch'n bißchen stille sein? Oder soll ich die große Sau rauslassen?«
    Pelle war der Vetter unseres Vaters. Als mutterloser Vierzehnjähriger war er nach Näs gekommen und blieb dort, solange er lebte. Als er zu den Sm å l ändischen Husaren gemustert wurde, sagte der diensthabende Offizier, einen stattlicheren Bauernburschen habe er sein Lebtag nicht gesehen. Auch als Pferdeknecht hatte er unter den småländ ischen Bauernburschen kaum seinesgleichen. Einmal hatten wir einen Hengst, den keiner beschlagen konnte, weil er keinen an seine Beine heranließ. Bis Pelle auf den Trick kam. Er begriff, daß der Hengst kitzlig an den Hinterbeinen war, und packte ihn deshalb direkt am Huf, und da stand der Hengst still und ließ sich ganz geduldig beschlagen. (Diese Geschichte muß dem Michel in Lönneberga zu Ohren gekommen sein!) Nach einiger Zeit wurde der Hengst verkauft, und nach einiger Zeit kam auch der Notruf des neuen Besitzers – dieses Roß läßt sich

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