Das Erbe - Das Tal - Season 2 ; Bd. 2
geblieben. Sie hatte bis jetzt nicht begriffen, wie sie ihn hatte ignorieren können.
Morgan.
Grace Morgan.
Morgan war der Mädchenname ihrer Mutter.
Und Grace war der Vorname von Roses Tante, die spurlos verschwunden war.
13. Im Zeichen des Regenbogens
Rose hörte den Schuss. Der Knall traf kaum ihr Gehör, sondern drang sofort in ihr Gehirn. Plötzlich war die Welt um sie herum still. Die schmalen Lichtstreifen, die durch die Jalousien drangen, flimmerten in ihren Augen.
Sie stieß einen Schrei aus. Zumindest glaubte sie es, wenn sie auch nichts gehört hatte. Denn sie registrierte, wie ihr Mund sich öffnete, wie ihre Stimmbänder vibrierten, wie sich etwas in ihrem Brustkorb löste. Sie schloss die Augen und schrie noch einmal, schlang sich die Arme um den Kopf und dachte die ganze Zeit über nur: Er hat es getan. Er hat es tatsächlich getan.
Das Chaos um sie herum war unbeschreiblich und trotzdem betete sie für einen Moment, dass das alles nur in ihrer Einbildung passierte. Sie versuchte, sich daran zu klammern.
Und dann wiederholte ihr Gehirn immer dieselbe Botschaft: Renn weg. Versteck dich. Vielleicht bist du die Nächste. Bis sie sich wieder bewusst wurde, dass sie nicht fliehen konnte. Sie war in diesem Raum gefangen.
Als sie die Hände fallen ließ und die Augen aufschlug, traf ihr Blick Tom. Seine Hand umklammerte die Waffe, die noch immer in den Raum gerichtet war. Nur der nächste Warnschuss, dachte sie, es war nur der nächste Warnschuss. Dann stieß Tom ein Geräusch aus, das wie ein Lachen wirkte, unnatürlich hoch und durchdringend. Als sei er ebenso überrascht von seiner Tat wie sie. Als hätte er es sich selbst nicht zugetraut.
»Ich hab sie erwischt«, sagte er. »Ich hab sie erwischt.« Rose las in seiner Miene Schock, Verwunderung, aber auch etwas, das wie Zufriedenheit wirkte. Und sie täuschte sich nicht. Im nächsten Augenblick strahlte seine ganze Haltung Entschiedenheit aus.
Ich hab sie erwischt.
Wen hatte er erwischt?
Roses Kopf fuhr herum. Chris stand immer noch schützend vor Julia, die Rose den Rücken zuwandte. Er war am Leben! Obwohl Tom die ganze Zeit auf Chris gezielt hatte, war er am Leben. Ebenso die anderen.
Debbie stieß wieder dieses grauenvolle Wimmern aus. Ihre Hände zerrten an ihrer Kleidung, als ob sie sich Luft verschaffen wollte.
Katie machte keine Versuche, sie zu beruhigen. Stattdessen löste sie Debbies Finger, die sich an ihre Hose klammerten. Dann drängte sie sich an den Tischreihen vorbei, stieß jeden zur Seite, der ihr im Weg war, und stoppte vor der Schrankwand. Dort stand Isabel. Sie starrte auf die Blutlache, in der ihre Mutter lag. Langsam wich sie zurück, als würde der rote Fleck sie verfolgen.
Ungeduldig riss Katie sie zur Seite und kniete sich auf den Boden. Jetzt kam auch Leben in Rose. Sie lief quer durch den Raum zu der Dozentin hinüber. Mrs Hill lag auf dem Bauch. Ihre Arme ragten in den Raum hinein. Der Rock hatte sich nach oben geschoben, sodass man ihren Slip erkennen konnte. Sie atmete noch, aber die Abstände, in denen sie nach Luft rang, wurden immer größer. Und da war so viel Blut. Das Blut war überall. Fast wäre Rose darauf ausgerutscht. Als sie neben Katie auf die Knie ging, tauschte ihre Mitbewohnerin einen kurzen Blick mit ihr. »Wir müssen sie umdrehen.«
Gemeinsam zogen sie die Frau aus der Ecke. Sie drehten sie behutsam auf den Rücken. Immer neues Blut quoll aus ihrer Brust.
Während Katie ihre Hand auf das kreisrunde Loch presste, das sich in die weiße Bluse gebrannt hatte, flüsterte sie nach unten gebeugt: »Sie schaffen das. Sie müssen nur durchhalten. Immer weiteratmen. Wir bringen Sie hier raus.«
Die Halbkoreanerin wirkte unheimlich ruhig, als wäre das Ganze für sie etwas Alltägliches. Sie, die noch immer darunter litt, dass sie ihren Freund Sebastien nach dem Sprung von der Brücke im Stich gelassen hatte, schien jetzt genau zu wissen, was zu tun war.
Dann hob sie den Kopf. Schweiß lief ihr das Gesicht herunter, als sie brüllte: »Gebt mir was, gebt mir etwas, sonst verblutet sie. Isabel, deine Jacke.«
Aber Isabel rührte sich nicht. Sie wandte den Kopf und ging langsam auf die andere Seite des Raums. Als hätte sie nichts damit zu tun.
Alle anderen hatten sich Tom zugewandt, der mit der linken Hand auf dem Handy herumtippte.
Die Uhr läuft weiter, dachte Rose. Sie läuft immer weiter, bis der Nächste an der Reihe ist. Egal. Sie überlegte nicht lange, sondern riss sich ihr Halstuch
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