Das Erbe der Pilgerin
natürlich war Philipp seine und Gerlins Rolle dabei nicht verborgen geblieben.
»… dazu kommen die Schwindeleien Eurer Gattin, die zweifelhafte Abkunft ihres Sohnes … Ihr gedenkt, Loches doch einmal an diesen Jungen zu vererben, oder?« Der König warf einen strengen Blick auf Dietmar.
Der Junge hob die Augen. »Nein, Herr!«, sagte er dann überraschend mit klarer Stimme. »Äh … Majestät, Herr … Ich … ich werde irgendwann mein Erbe im Fränkischen antreten.«
Der König runzelte die Stirn. »Das da nur auf Euch wartet, Dietmar von … Ornemünde?«
Gerlin wunderte sich, dass der König sich den Namen des Jungen gemerkt hatte, aber die Ornemünder waren ein weit verzweigtes Adelsgeschlecht, das ihm zweifellos bekannt war.
»Nein, Majestät«, erklärte Dietmar gelassen. »Ich werde es erobern müssen. Es ist zurzeit von einem Usurpator besetzt. Aber mein Ziehvater, der Herr Florís, wird mich mit allen Kräften unterstützen und …«
Der König lachte. Die Ernsthaftigkeit des Jungen rührte ihn an. »Aha«, bemerkte er dann und wandte sich wieder an Gerlin und ihren Gatten. »Wie gesagt, die Verhältnisse auf der Festung Loches sind fragwürdig und gelinde gesagt unübersichtlich. Womöglich zieht Ihr morgen die gesamte Ritterschaft ab und wendet Euch gegen eine Burg in deutschen Landen. Nach wie vor, Herr Florís: Wie weiß ich, ob ich Euch trauen kann?«
Gerlin überlegte kurz. Ihr schoss ein Gedanke durch den Kopf, aber womöglich würde sie den König noch mehr gegen sich aufbringen, wenn sie den Vorschlag äußerte. Andererseits – es war kaum möglich, noch mehr von seiner Gunst zu verlieren …
»Majestät«, meldete sie sich zu Wort. »Wie wäre es, wenn wir eine Sicherheit stellten? Ihr nehmt unseren Treueschwur an, und wir geben Euch meinen Jungen als Geisel!«
Florís schien ob Gerlins Dreistigkeit die Luft wegzubleiben. Tatsächlich waren Arrangements wie dieses durchaus gang und gäbe – allerdings nicht zwischen einem König und einem unbedeutenden Burgherrn. Der Austausch von Geiseln fand meist zwischen gleichrangigen oder doch annähernd gleich starken Herrschern oder Adelshäusern statt. Es kam einer Art Nichtangriffspakt gleich, wenn das Kind des einen im Haushalt des anderen aufwuchs. Die Anwesenheit des eigenen Nachkommen in der Burg des anderen garantierte die Einhaltung von Verträgen und Abkommen, die man mit Gewalt nicht durchsetzen konnte. Wohingegen es für Philipp August einfach gewesen wäre, sich eines Florís de Trillon und seiner mehr oder weniger legitimen Nachkommenschaft zu entledigen: Er brauchte den Ritter nur festnehmen zu lassen und seine Familie aus der Burg zu werfen.
Der Monarch musterte Gerlin denn auch zunächst ungläubig, aber dann brach er erneut in Gelächter aus. »Ihr seid unglaublich, Gerlindis von Sonstwo zu Loches!«, stieß er zwischen zwei Lachanfällen hervor. »Warum sagt Ihr es nicht gleich: Ihr wollt in Eurer behaglichen Burg bleiben und Eurem Ritter das Bett wärmen, und ich soll derweil Euren Sohn erziehen, damit er dann erfolgreich seine Fehde im Frankenland führen kann!«
Gerlin lächelte. Sie hatte immer ein bezauberndes Lächeln gehabt. Auch Richard Löwenherz hatte sich seiner Wirkung nicht entziehen können.
»Ich bin überzeugt«, sagte sie jetzt, »mein Sohn würde Euch Ehre machen!«
Der König winkte den Jungen zu sich. »So wärest du gern Knappe an meinem Hof?«, fragte er.
Dietmar nickte. »Ich sollte an König Richards Hof erzogen werden«, erklärte er freimütig – ein Umstand, auf dessen Erwähnung Gerlin lieber verzichtet hätte. »Aber … aber …«
Gerlin biss sich auf die Lippen. Wenn er jetzt etwas von dem bedeutendsten Hof der Christenheit sagte, als welcher der Hof König Richards und seiner Mutter Königin Eleonore zweifellos gegolten hatte, dann war alles vergebens!
Aber Dietmar erwies sich als würdiger Sohn seines leiblichen Vaters, der kein großer Krieger gewesen war, dafür ein begabter Diplomat.
»… aber jetzt, als ich die Festung hier gesehen habe! Sie ist großartig, Majestät, diese Mauern, die Türme, der Palast … Das ist … das ist … Majestät, wenn ich Euch hier dienen dürfte … Dies ist sicher der bedeutendste Hof der Christenheit!«
Der König lächelte wohlwollend. »Ein kluger Junge, Frau Gerlindis«, bemerkte er. »Also gut, Dietmar, du wirst als Knappe bei uns bleiben. Und Ihr, Madame und Seigneur de Loches, Ihr könnt mir nun den Eid schwören und gehen. Ich bin
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