Das Erbe der Runen 03 - Die Schattenweberin
verbreiteten die rußenden Öllampen an den Pfeilern der Stallgasse ein schwaches gelbliches Licht. Duana füllte die Heuraufe mit frischem Stroh und strich ihrer Stute zum Abschied noch einmal sanft über die Nüstern.
Es war spät, und sie hatte Hunger.
Die meisten Krieger hatten die Abendmahlzeit im großen Speisesaal der Bastei bereits eingenommen, und das war ihr nur recht. Ihr lag nichts an den Gesprächen der Krieger, die sich zumeist in Selbstmitleid ergingen. Offensichtlich hatten viele von ihnen durch das Ende des Krieges nicht nur ihren Lebensinhalt, sondern auch ihre Würde verloren. Duana legte keinen Wert darauf, wieder einmal zum Mittelpunkt der anzüglichen Bemerkungen zu werden, denen die Frauen ihres Blutes ausgesetzt waren, seit die Krieger hier nutzlos herumsaßen. Zwar fiel es den Amazonen nicht schwer, sich der Zudringlichkeiten zu erwehren, dennoch hatten die ehrlosen Ausschweifungen dazu geführt, dass immer mehr von ihnen die Waffen niederlegten und in ihre geliebte Heimat nahe dem Mangipohr-Delta zurückkehrten. Inzwischen gab es in der Bastei kaum mehr als ein Dutzend ihres Blutes, und so manche von ihnen spielte ebenfalls mit dem Gedanken, Sanforan den Rücken zu kehren.
Für Duana stand eine Heimkehr außer Frage. Um den Anzüglichkeiten zu entgehen, hatte sie es sich zur Gewohnheit gemacht, die Mahlzeiten entweder frühzeitig oder – wie an diesem Abend – als Letzte einzunehmen.
Bedächtig trat sie vor das Tor, lauschte und spähte in die Dunkelheit hinaus. Alles schien ruhig. Bis auf zwei Stallburschen, die im hinteren Trakt der Stallungen in lautstarkes Gezänk verfielen, und einer schemenhaften Gestalt, die gerade in einer der schattigen Gassen am Rande des Platzes verschwand, war weit und breit keine Menschenseele unterwegs.
Schlimme Zeiten, dachte sie bei sich, als sie den Platz schnellen Schrittes überquerte. Nicht einmal in der Bastei von Sanforan konnte man sich sicher fühlen.
Die Lage war unerträglich. Mit dem Frieden hatte für die Frauen ihres Blutes ein neuer und unberechenbarer Krieg begonnen, in dem nicht mehr die Uzoma die Feinde waren, sondern die eigenen Landsleute, mit denen sie viele Winter lang Seite an Seite im Heer der Vereinigten Stämme gekämpft hatten.
Duana stieß einen leisen Fluch aus.
Der Hohe Rat wusste, wie schlecht es um die Moral der Krieger bestellt war, und versuchte nach Kräften, dem ehrlosen Verhalten ein Ende zu setzen. Doch die Heimkehrer vom Pass waren eine eingeschworene Gemeinschaft, und so konnte man der Unruhestifter kaum Herr werden. Der Hohe Rat hatte zudem noch ein anderes Problem. Acht Monate nach dem Ende des Krieges gegen die Uzoma gab es unter den Angehörigen der Vereinigten Stämme noch immer eine große Zahl derer, denen die dunkelhäutigen Ureinwohner des Landes verhasst waren. Immer wieder kam es zu Hangreiflichkeiten, die oft auch tödlich endeten.
Duana seufzte. Wie es aussah, würden Generationen vergehen müssen, ehe ein friedliches Miteinander in Nymath gelang. Viele Verhandlungen und strenge Gesetze würden nötig sein, den Frieden zu sichern, doch obgleich ihr die Zeit der endgültigen Versöhnung noch in weiter Ferne schien, so wähnte sie Nymath zumindest auf dem richtigen Weg.
Duana hatte das Haupthaus erreicht. Zwei Stufen auf einmal nehmend, eilte sie die Treppe zur Eingangstür hinauf. Sie wollte gerade die Hand nach dem Türknauf ausstrecken, als der hölzerne Flügel von innen kraftvoll aufgestoßen wurde.
Duana erschrak, reagierte jedoch blitzschnell. Mit einer geschmeidigen Bewegung wich sie zur Seite aus und verbarg sich hinter einer der beiden dicken Säulen vor dem Portal.
Als sie hinter ihrem Versteck hervorspähte, sah sie einen hoch gewachsenen Mann in der dunklen Gewandung der Falkner die Treppe hinuntereilen. Er wirkte aufgebracht und in Gedanken vertieft, während er mit weit ausgreifenden Schritten auf das Falkenhaus zuhielt. Das spärliche Licht, das den Hofplatz erhellte, fiel auf sein dunkles, schulterlanges Haar …
Keelin, es war Keelin! Und er war allein!
Duana schnappte nach Luft. Der Gedanke, dass sie ihm fast in die Arme gelaufen wäre, ließ ihr Herz höher schlagen. Insgeheim schalt sie sich eine Närrin, dass sie ihm ausgewichen war. Sie konnte nicht anders, sie musste ihm folgen. Natürlich wusste sie, dass es unvernünftig war, doch was zählte alle Vernunft, wenn sie nur für einen einzigen Augenblick in seiner Nähe sein konnte!
Den ganzen Winter über hatte sie
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