Das Erbe der Runen 03 - Die Schattenweberin
vergebens auf eine solche Gelegenheit gewartet. Doch Keelin und Ajana schienen unzertrennlich. Aber jetzt …
Ehe Duana sich versah, stürmte sie schon die Stufen hinunter. Am Fuß der Treppe hielt sie kurz inne und atmete tief durch, dann folgte sie Keelin lautlos wie ein Schatten zum Falkenhaus.
Gedämpftes Licht, das von Wärme kündete, drang durch die kleinen lukenartigen Fenster nach draußen. Drinnen war nichts zu hören. Offenbar war Keelin auch hier allein.
Geh hinein!
Als wispernde Stimme strich die Verlockung durch Duanas Gedanken. Wie von selbst umfasste ihre Hand den Türknauf.
Zögere nicht! Folge ihm!
Sie spürte das kühle Metall unter ihren Fingern, aber etwas hielt sie zurück. Obwohl sie sich eine Gelegenheit wie diese so sehr gewünscht hatte, seit sie Keelin im vergangenen Sommer zum ersten Mal begegnet war, fiel es ihr unendlich schwer, ihren Stolz zu überwinden. Sie war eine Wunand und als solche dazu erzogen, sich Männer zu erwählen. Um einen Mann zu buhlen galt bei den Frauen ihres Blutes als ein Zeichen von Schwäche, und tief in ihrem Innern verachtete sie sich selbst für diese Untugend.
Tu es! Tu es jetzt!
Duanas Finger umklammerten den Türgriff so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten. Hin und her gerissen zwischen der Tradition und der Stimme ihres Herzens, zögerte sie, die Tür zu öffnen. Die Umstände hatten sie in eine Lage gebracht, die einer Wunand nicht würdig war. Sie hätte da drinnen und Keelin an ihrer Statt hier draußen stehen müssen. Vielleicht wäre es auch so gekommen, doch das Schicksal hatte es anders gewollt und Keelins Leben eine unvorhergesehene Wendung gegeben.
Als Duana von seinen Plänen erfahren hatte, mit dem Heer zum Pass zu ziehen, hatte sie nicht gezögert, sich dem Aufruf anzuschließen. Im Pandarasgebirge, so hatte sie gehofft, würde sich gewiss eine Gelegenheit finden, ihm ihre Liebe zu gestehen. Doch auch dort hatte sich ihre Hoffnung nicht erfüllt.
Duana ballte die Fäuste. Warum nur straften die Götter sie so hart?
Auf dem Weg zum Pass hatte Keelin die Nebelsängerin aus den Händen der Uzoma befreit und sie als Kundschafter später zum Arnad und auf ihrem Weg zu den Orma Hereth begleitet. Als die beiden nach langer gefahrvoller Reise schließlich als gefeierte Helden an den Pass zurückgekehrt waren, waren sie ein Paar gewesen.
Duana erinnerte sich an die Heimkehr, als sei es gestern gewesen. Der niederschmetternde Anblick verfolgte sie noch jetzt bis in ihre Träume. Immer wieder sah sie die Überlebenden der Gruppe, die Ajana zu den feurigen Bergen begleitet hatten, unter dem Jubel der Krieger durch das große Tor in die Festung einreiten: eine Hand voll erschöpfter und staubiger Gestalten im Fackelschein, voller Stolz auf das, was sie erreicht hatten, und erfüllt von Freude über die glückliche Heimkehr. Auf dem Rücken ihrer Pferde bahnten sie sich einen Weg durch die Menge und schüttelten lächelnd Hunderte von Händen, die sich ihnen entgegenstreckten. Duana selbst stand ganz vorn und fieberte mit geröteten Wangen dem Augenblick entgegen, da Keelin endlich an ihr vorbeiritt. Doch er hatte nur Augen für Ajana, und als er die Nebelsängerin unter dem Jubel der Menge lange und zärtlich küsste, wusste sie, dass er für sie verloren war …
Enttäuscht und gekränkt hatte sie sich damals von Keelin zurückgezogen. Obwohl Frauen ihres Blutes Eifersucht fremd war, litt sie unsägliche Qualen. Mehr als einmal hatte sie gar mit dem Gedanken gespielt, ihrem Leben selbst ein Ende zu bereiten. Um einen Mann zu buhlen war eine Schwäche – ihn zu lieben, ohne dass er die Gefühle erwiderte, war eine Schande, mit der sie glaubte, nicht weiterleben zu können.
Irgendwann hatte sie dann erfahren, dass Ajana nicht mehr lange in Nymath bleiben würde. Wenn der Ulvars neue Blätter hervorbrachte, so hieß es, würde die Nebelsängerin für immer in ihre Welt zurückkehren. An diesen Gedanken klammerte sie sich nun und baute all ihre Hoffnungen darauf. Bis heute ahnte Keelin nichts von ihren Gefühlen, doch der Zeitpunkt, da er sich von Ajana trennen musste, kam immer näher, und sie hoffte, dass sie ihm durch ihre Liebe den Kummer über die Trennung erleichtern könnte.
Vielleicht hatte das Schicksal eben diesen Abend dazu bestimmt, ihrer Sehnsucht nachzugeben. Vielleicht …
»Verzeih, hast du Keelin gesehen?«
Duana erstarrte. Das flammende Hochgefühl, das sie eben noch verspürt hatte, wich schlagartig einer eisigen
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