Das Erbe der Uraniden
Stamford flüsternd zu Gorm. »In dem nahenden Dunkel des Todes tastet seine Seele noch einmal nach dem besten Besitz und Glück seiner Erdentage. Die schattenden Wellen seiner Seele trafen mit stärkster Inbrunst Majadevi. Noch sind mir die tiefsten Geheimnisse der indischen Mystik nicht erschlossen… ob er noch sterbend sie uns entreißen wollte… ihre Seele mitnehmen in das neue, geträumte Leben? Ich hörte wohl von solcher ungeheurer Kraft Sterbender. Doch es soll ihm nicht gelingen. Setzen Sie sich wieder zu ihr. Ergreifen Sie wieder ihre Hände. Das Fluidum Ihrer Seele ist die beste Abwehr – ist stärker als meine Kunst.«
Stamford nickte Awaloff, der zu Füßen des Lagers saß, freundlich zu. Die bekümmerten Züge des Mannes, dessen Augen wie hilflos an Stamford hingen, hellten sich auf.
Welch tiefe Wandlung war mit Awaloff vorgegangen. Das eingefallene Gesicht war von den ausgestandenen Leiden gefurcht, der Rücken gebeugt. Der hagere Mann wich nicht von dem Lager Majadevis, wie um sie zu schützen… wie um selbst Schutz zu suchen. Der einzige kostbare Besitz, der ihm noch verblieb.
Die Augen, glanzlos, trugen die Spuren der furchtbaren Seelenkämpfe, zeigten, wie unauslöschlich in seiner Erinnerung das Entsetzliche, das er erlitten hatte, fortlebte. Wie eingemeißelt war ihm das Bewußtsein der schweren, nie wieder gutzumachenden Schuld an der Menschheit.
Nur wenn sein Blick Majadevi traf, veränderte sich der Ausdruck. Der Schimmer unsäglicher Liebe verschleierte dann alles Dunkle, Trübe. Seit jener Stunde, wo die Nacht des Wahnsinns von ihm gewichen war, wo er in Majadevi sein Kind wiederfand, hatte er sich mit allen Fasern seines Seins an sie geklammert. Sie war das einzige Band, das ihn noch mit dem Leben verknüpfte. Vor Gorm zeigte er eine unüberwindliche Scheu. Er wich ihm aus, wo er nur ging. Wenn Gorm mit ihm sprach, senkte er die Augen und wurde ängstlich.
Wohl hatte keiner mit ihm über die Zusammenhänge zwischen seiner Tat und Gorms Schicksal gesprochen. Doch hatte er sie wohl durchschaut. Stamford, der für kurze Zeit hinausgegangen war, kam jetzt wieder und wandte sich zu Gorm.
»Noch immer senden die Leute der Buena Vista Rufe in den Äther, die keine Antwort finden. Wüßte man nicht aus den gestrigen Funksprüchen, daß der Jonas Lee eine Fahrt um das neue Land machen wollte, möchte man annehmen, daß Ihre Befürchtungen, Gorm, wahr geworden sind. Gewiß, es wäre ja nicht ausgeschlossen, daß der Jonas Lee seine Pläne geändert und den Pol angesteuert hätte… daß er das Schicksal des Uranidenschiffes erlitte.«
»Es muß so sein«, erwiderte Gorm. »Die Einrichtungen des Jonas Lee sind so vortreffliche, daß an einen Unglücksfall gewöhnlicher Art nicht zu denken ist. Und wenn ihm auch sonst etwas zugestoßen wäre, die Sendeanlage müßte ihm jedenfalls zur Verfügung stehen. Doch die Nacht bricht herein. Das Schiff im Licht der Scheinwerfer zu suchen, wäre kaum möglich. Doch was es auch sei, ich weiche nicht von Majadevi. Weiche nicht, bis mir ihre Seele wieder voll geschenkt ist. Sarata tot? Majadevi ist befreit von den schweren Fesseln, mit denen der Inder sie an sich gekettet hatte, dies schimmernde Kleinod, dessen Licht meine Augen so glückverheißend traf, als ich in der tiefen Nacht des Menschenhasses wandelte… Vollendet ist mein Glück, wenn die zarte Blüte, von meinen Händen vor allen Lebensstürmen geschützt, sich zur schönsten Blume entfaltet.« –
Stunden verrannen. Die drei wichen nicht von dem Lager.
»Hallo! Sie ist wieder da, die alte Erde. Der Teufel, daß ich die mal als blitzenden Stern am Himmel sehen sollte.« Tim Brokers Stimme schallte von dem Ausgang her zu ihnen. »Ich freue mich jeden Tag, wenn ich dich wiedersehe, alte Heimat.«
Stamford hatte sich erhoben und wollte dem Mann unwillig zurufen, still zu sein. Da hielt ihn Gorms Hand zurück.
Er deutete auf Majadevi. Was war mit ihr? Sie hatte sich langsam emporgerichtet. Die Augen glitten in ruhigem, liebevollem Blick von einem zum anderen. Man sah, wie ihre Brust sich unter dem leichten Gewände in ruhigen, befreienden Atemstößen hob und senkte. Ihre Hände hoben sich hoch, streckten sich den Gefährten entgegen.
»Mir ist so leicht. Ich bin so glücklich. Der schwere Traum… er ist fort… die dunklen Schatten, die finsteren Gestalten, die um mich woben, sind verschwunden. – Väterchen – Weland Gorm – «
Wie betäubt von dem Glücksgefühl schlang sie die Arme
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