Das unsagbar Gute
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Jede Katze braucht einen Menschen. (Leider ist es so, dass nicht jede Katze einen Menschen hat. Auch nicht jeder Kater.) Bei Hunden würde man diesen Satz einsehen – aber bei Katzen? Die sind doch so unabhängig und eigensinnig und hochmütig und so weiter. Katzen sind falsch, weiß der Volksmund. Der Volksmund weiß bekanntlich gar nichts, es ist der dümmste Mund auf Gottes Erdboden, aber was er hervorplappert, ist ebenso unausrottbar wie die Grippe.
Katzen sind nicht falsch, überhaupt nicht. Ihre Sprache ist nur schwerer verständlich als die Sprache der Hunde. Hunde haben ihre Sprache an den Menschen angepasst, um sich Vorteile zu verschaffen, Hunde sind schlau. Das sei ihnen gegönnt, aber wenn wir bei der Wahrheit bleiben, sind Hunde Opportunisten, Katzen nicht. So gesehen sind Katzen wahrhaftiger als Hunde.
Jede Katze braucht einen Menschen, wie jeder Mensch einen Gott braucht. Natürlich kommt es vor, dass eine Katze mehrere Menschen hat; dann hat sie eben mehrere Götter. Nicht übertrieben viele wie die dreihundertdreißig Millionen, die nach Hinduglauben alle in den Hinterbacken einer Kuh wohnen, aber zwei, drei oder auch fünf. Wie die Götter der Menschen sind die Götter der Katzen, die Menschen, freundlich oder unfreundlich, launisch, sentimental, manche sind böse. Und schwer zu verstehen sind sie alle. Ihre Wege sind unerforschlich, und sie haben große Macht; sie tun Dinge, die den Horizont der jeweils niedereren Wesen übersteigen, und sie tun diese Dinge aus Gründen, die nur sie selber kennen.
Aber einen Unterschied gibt es: Die Götter der Katzen sindanwesend, man kann sie sehen und hören, sie greifen ins Leben der Katzen ein, geben Futter oder verweigern es in bedauerlichen Fällen. Die Götter der Menschen haben sich dagegen zurückgezogen. Sie sprechen nur durch Orakel oder Träume oder durch den Mund von Propheten; man kommt als Mensch nicht leicht an sie heran. Daher gibt es für Menschen Glauben und Zweifel. So etwas gibt es für Katzen nicht. Noch nie hat eine Katze, geschweige denn ein Kater, an etwas geglaubt, noch nie an etwas gezweifelt. Dafür ist kein Raum. Die Taten der Katzengötter sind eindeutig: Sie sind gut oder böse oder aber reiner Blödsinn.
Bei den Taten der Menschengötter weiß man nie, was man dazu sagen soll; man kann ja nicht zuschauen, sieht nur das Ergebnis und muss dann anfangen zu interpretieren – dazu aber muss man Theologie studieren und dazu wieder muss man Hebräisch lernen, Altgriechisch sowieso (du lieber Gott!) oder aber eben Quantenmechanik und Evolutionsbiologie. Vielleicht liegt es daran, dass die Katzen ihre Götter lieben (und fürchten), aber nicht anbeten; die Menschen ihre Götter seit Jahrtausenden anbeten, aber weder fürchten noch lieben. Das ist schon ein Unterschied.
Es ist schwierig, über Katzen und Menschen nachzudenken und nicht ins Philosophieren zu kommen, beschränken wir uns also rasch auf unsere eigentliche Aufgabe, die Geschichte des Katers Sami zu erzählen, dessen vordere zwei Drittel weiß sind, das hintere Drittel aber rötlich. Über dem linken Auge hat er einen recht großen Fleck derselben Färbung. Der Schwanz ist weiß-rot geringelt. (Damit man eine Vorstellung hat.) Die Geschichte handelt natürlich nicht nur von Sami, dem Kater, sondern auch von verschiedenen Menschen, guten und bösen, und ihren Schicksalen. Da ist zunächst der Mensch, den Sami hat, eine Frau Leupold, ehemalige Professorin für Chemie und Physik am Gymnasium, frühpensioniert wegen eines Nervenleidens,mit dessen Natur wir uns schon deshalb nicht auseinandersetzen müssen, weil diese letzten Endes auch mehreren konsultierten Ärzten verborgen geblieben ist, zuletzt dem von der Krankenkasse, was aber keine große Rolle spielte, weil die Frau Dr. Leupold ohnehin nicht mehr tragbar war, wegen ihres exzentrischen Verhaltens und der häufigen Krankenstände. Worin dieses Verhalten bestand, ließ sich nicht mehr eruieren, die ehemaligen Schüler sind in alle Winde zerstreut, die Kollegen pensioniert oder können sich angeblich nicht mehr erinnern. Ein einziger hat zugegeben, dass dies alles sowieso nur vorgeschoben war, die Kollegin Leupold habe es sich gerichtet, es sei ihr auch zu gönnen, wohl dem, der das Talent habe, auf die Frühpensionierung hinzuarbeiten, es bleibe einem Lehrer auch nichts anderes übrig in einer Zeit, wo sie jeden Drecksproleten aufs Gymnasium schicken … das Weitere, was der Kollege noch gesagt hat, lassen wir weg.
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