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Das Erbe des Bösen

Das Erbe des Bösen

Titel: Das Erbe des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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an die Abmachung und erzählst niemandem etwas. Ist das klar?«
    »Aber sicher.«
    »Und ruf mich nie mehr an. Am besten löschst du meine Nummer sofort«, sagte Malek eisig.
    »Keine Angst, du wirst von mir nichts mehr hören«, sagte Rastegar erschrocken.
     
    Ingrid saß im Sessel und blätterte in den Unterlagen, die sich in den geöffneten Kuverts befunden hatten. Sie waren extra versiegelt gewesen. Wie viel hatte Katja gelesen? Wie viel davon mochte sie verstanden haben?
    Gequält nahm Ingrid einen Schluck Whisky, obwohl sie normalerweise keinen Alkohol trank. Sie hatte Beethoven aufgelegt. In dieser Situation brauchte sie die Kraft, die seine Musik ihr gab. Es fiel ihr schwer, sich einzugestehen, dass sie in gewisser Weise auch erleichtert war. Die Last des Geheimnisses war schwer allein zu tragen gewesen.
    Für Erik würden die Enthüllungen ein schwerer Schlag sein, da war sich Ingrid sicher. Aber sie musste Vertrauen in seine Intelligenz haben, in seine Fähigkeit, rational zu denken. Zum Glück hatte ihr Sohn genug von beidem.
    Ingrid sah die alten Papiere durch, die in ihr eine gewaltige Lawine von Erinnerungen und Gefühlen auslösten. Sie erinnerte sich, wie ihr das Zeugnis überreicht worden war, in dem vornehmen Saal mit der schwindelerregend hohen Decke. Die jungen Männer und Frauen in Festkleidung hatten im Sitzen gewartet, |292| bis sie nacheinander an die Reihe kamen. In der gesamten feierlichen, ja pathetischen Atmosphäre war zu spüren: Sie waren die künftige wissenschaftliche Elite, sie würden die Welt verändern. Ingrid platzte fast vor Stolz, als sie aufstand und auf die Bühne ging, um von Professor von Verschuerr, den sie damals über alle Maßen bewunderte, ihr Zeugnis entgegenzunehmen.
    »Ausgezeichnete Leistung, Fräulein Stormare«, hatte ihr der Professor leise gesagt, während er ihr die Hand zur Gratulation gab. »Sie sind eine echte Begabung mit einer verheißungsvollen Zukunft.«
    Schon früher hatte Ingrid beschlossen, ihr Leben der Wissenschaft zu widmen, aber die Worte von Verschuer hatten ihre Entscheidung endgültig besiegelt. Danach hatte die harte Arbeit begonnen. Sie war als Assistentin von Karin Magnussen am Institut für Eugenik gelandet und hatte nebenher ihre Doktorarbeit geschrieben.
    Ingrid betrachtete die akribisch erstellten Schemata, mit denen die Erblichkeit der Augenfarbe veranschaulicht wurde. Sie hatte enorm viel Zeit darauf verwendet.
    Schweren Herzens schob sie die Blätter ins Kuvert zurück und griff nach einem wenige Monate alten Zeitschriftenartikel. Im ›American Journal of Human Genetics‹ war eine Untersuchung der Universität Queensland zitiert worden, der zufolge hauptsächlich zwei Gene die Augenfarbe des Menschen beeinflussen, und nicht eines, wie bislang angenommen worden war. Von den beiden Genen bewirkte das eine blaue und braune, das andere grüne und nussbraune Farbvarianten. Ferner waren noch weitere Gene wirksam, weshalb Eltern mit blauen Augen manchmal ein braunäugiges Kind bekommen konnten. Wie unendlich viel weniger Arbeit und Probleme sie damals am Institut gehabt hätten, wenn sie das schon gewusst hätten, dachte Ingrid. Von Verschuer und Mengele hatten sich jedes Mal die Haare gerauft, wenn sie braunäugige Zwillinge von Eltern mit blauen Augen bekommen hatten.
    Ingrid blätterte weiter in den alten Unterlagen. Nach dem |293| Krieg war überall auf der Welt mit unethischen Menschenversuchen weitergemacht worden, nur nicht in Deutschland. Sie sah sich Formulare mit den persönlichen Angaben der Versuchspersonen an: Geburtsdatum, frühere Erkrankungen, Erkrankungen der Eltern. Sie sah ihre eigene Handschrift, Zahlen und Buchstaben, Daten und Orte.
     
    3.1946, Rochester, NY.   Janet Stadt, 41   Jahre, weiß, Versuchsreihencode »HP-8«
. . .
     
    Kaum war sie mit Rolf in Amerika angekommen, hatte Ingrid zahlreichen Wissenschaftlern die Forschungsergebnisse vorstellen dürfen, die sie in Dahlem über die Wirkungen radioaktiver Strahlung auf den menschlichen Organismus und das Erbgut erarbeitet hatten. Obwohl die Bomben auf Hiroshima und Nagasaki längst abgeworfen waren, unterlag das Thema in den USA absoluter Geheimhaltung. Dass Ingrid über weiteres Material aus dem Institut für Eugenik in Berlin verfügte, hatte sie für sich behalten.
    Sie war erst wenige Monate mit Rolf in Fort Bliss in Texas gewesen, als man sie aufforderte, ihr Wissen anzuwenden. Die Amerikaner waren vor allem brennend daran interessiert, zu erfahren,

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