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Das Erbe des Zauberers

Das Erbe des Zauberers

Titel: Das Erbe des Zauberers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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griff nach der heruntergebrannten Kerze und spähte durch die dicke runde Scheibe.
    Ein gelbes Knopfauge erwiderte ihren Blick und zwinkerte. Die Kerze zischte leise und erlosch.
    Esk blieb wie erstarrt stehen und wagte kaum zu atmen. Erneut ertönte das Klopfen, und dann herrschte wieder Stille. Einige Sekunden später knarrte es an der Tür.
     
    Vorsichtig tastete sie sich durchs Zimmer, fiel fast über den Schaukelstuhl, zog ihn zurück und gab sich alle Mühe, die Tür damit zu blockieren. Die Klinke quietschte.
    Esk wartete und lauschte dem Schweigen der Nacht, bis es ihr die Trommelfelle zu zerreißen schien. Plötzlich pochte etwas mit hartnäckiger Beharrlichkeit an das winzige Fenster in der Waschkammer, und nach einigen Augenblicken verklang das Geräusch wieder, um sich ins Schlafzimmer über der Küche zu begeben und dort in ein dumpfes Schaben zu verwandeln. Eskarina dachte an lange Krallen, die über hartes Holz glitten, und diese Vorstellung gefiel ihr ganz und gar nicht.
    Sie spürte, daß die Situation Mut erforderte, doch unter den gegebenen Umständen währte Tapferkeit nur so lange, wie eine Kerze Licht spendete. Sie kniff die Augen fest zu, durchquerte die dunkle Küche und verharrte an der Tür.
    Der Kamin knisterte, als ein dicker Rußbrocken herabfiel. Und als Eskarina das verzweifelte Kratzen hörte, das sich durch den Schornsteinschacht über der Feuerstelle näherte, riß sie die Riegel zurück, stieß die Pforte auf und stürmte nach draußen.
    Die Kälte traf sie wie ein Messerstich. Eine dünne Eisschicht glänzte auf dem Schnee. Eskarina hatte kein bestimmtes Ziel, als sie in den Wald lief, aber ihr Entsetzen erfüllte sie mit der unerschütterlichen Entschlossenheit, es so schnell wie möglich zu erreichen.
     
    Umgeben von Ruß, landete die Krähe im Kamin und krächzte verärgert vor sich hin. Sie hüpfte durch die Schatten, und nach einigen Sekunden öffnete sich die Tür des Treppenhauses mit einem widerspenstigen Knarren. Der Vogel breitete die fransigen Schwingen aus, flatterte über die Stufen und näherte sich dem Schlafzimmer.
     
    Esk wippte auf den Zehenspitzen, streckte die Arme aus und suchte an dem Baumstamm vor ihr nach einer Markierung. Diesmal wurde sie nicht enttäuscht. Doch das Kerbenmuster teilte ihr mit, daß die Entfernung zum Dorf über eine Meile betrug; sie hatte die falsche Richtung eingeschlagen.
    Der blasse Mond am Himmel sah aus wie eine gelbe Käserinde, die in einem Meer aus spöttisch zwinkernden Sternen schwamm. Der Wald bot sich dem kleinen Mädchen als ein Labyrinth aus schwarzen Schatten und weißem Schnee dar. Esk schluckte, als sie feststellte, daß nicht alle Schatten reglos blieben.
    Jedermann wußte, daß Wölfe in den Bergen lebten, denn in manchen Nächten hallte ihr Heulen von den hohen Graten herab. Aber sie wagten sich nur selten in die Nähe eines Dorfes; bei den modernen Wölfen handelte es sich um die Nachkommen jener Ahnen, die nur deshalb überlebt hatten, weil sie rechtzeitig erkannten, daß menschliches Fleisch oft mit Pfeilspitzen gewürzt war.
    Doch es herrschte ein ausgesprochen strenger Winter, und bei diesem speziellen Rudel sorgte der Hunger dafür, daß Dinge wie natürliche Auslese zumindest vorübergehend in Vergessenheit gerieten.
    Eskarina rief sich alle guten Ratschläge der Erwachsenen ins Gedächtnis zurück: Klettere in einen Baum. Entzünde ein Feuer. Und wenn das nichts nützt, so bewaffne dich mit einem Knüppel und wehr dich deiner Haut. Versuch nie wegzulaufen. Wölfe sind schneller.
    Der Baum hinter ihr war eine Buche mit glattem Stamm, der nicht den geringsten Halt bot.
    Esk beobachtete einen langen Schatten, der sich von den anderen löste und langsam näher kam. Müde, ängstlich und benommen ging sie in die Hocke, tastete im brennendkalten Schnee nach einem losen Ast.
     
    Oma Wetterwachs schlug die Augen auf und starrte an die Decke, wo sich feine Risse zeigten und die wie ein Zeltdach durchhing.
    Sie versuchte, sich daran zu entsinnen, daß sie nicht umherhüpfen mußte und Arme besaß, keine Schwingen. Nach dem Borgen sollte man immer eine Weile liegenbleiben, sich ausruhen und dem Bewußtsein Gelegenheit geben, sich wieder an den Körper zu erinnern, aber Granny wußte, daß die Zeit drängte.
    »Verflixtes Kind!«, murmelte sie und trachtete danach, auf die Bettstange zu fliegen. Die Krähe beobachtete sie mit zurückhaltendem Interesse. Sie hatte dies alles schon oft erlebt und vertrat die Ansicht

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