Das Erbe des Zauberers
angestrengtes Pusten und keuchendes Schnaufen eine nicht unerhebliche Rolle zu spielen.
»Du könntest dir einen großen Teil der Mühe sparen«, sagte Esk.
Granny wurde steif und starrte auf den Kaminschirm. Es handelte sich um ein recht hübsches Exemplar, das der Schmied vor einigen Jahren für sie angefertigt hatte und ein Ziermuster aus Eulen und Fledermäusen aufwies. Doch ihr Interesse galt überhaupt nicht dem Design.
»Ach?«, erwiderte sie ganz ruhig. »Kennst du eine bessere Möglichkeit?«
»Warum zündest du das Feuer nicht einfach mit Magie an?«
Mit großer Sorgfalt schob Granny mehrere Zweige in die zögernd flackernden Flammen.
»Und wie soll ich das deiner Meinung nach anstellen?«, fragte sie, wobei ihr Blick auf den Kaminschirm gerichtet blieb.
»Äh …«, begann Eskarina. »Ich … ich weiß nicht genau. Aber du hast doch bestimmt Erfahrung in solchen Sachen, oder? Immerhin bist du eine Hexe und kennst dich mit Magie aus.«
»Es gibt unterschiedliche Arten von Magie«, erwiderte Oma Wetterwachs. »Und man darf nie vergessen, wozu man sie einsetzen kann und wozu nicht, Mädchen. Eins steht fest: Sie ist nicht dafür bestimmt, irgendwelche Feuer zu entzünden – in diesem Punkt kannst du ganz sicher sein. Wäre es der Plan des Schöpfers gewesen, uns mit Magie in die Lage zu versetzen, Holzscheite in Brand zu stecken, hätte er uns keine, äh, Streichhölzer gegeben.«
»Aber könntest du das auch mit einer magischen Beschwörung schaffen?«, fragte Esk, als Granny einen uralten schwarzen Topf an den Haken über der Feuerstelle hing. »Ich meine – wenn du wolltest. Wenn es erlaubt wäre.«
»Vielleicht«, sagte Granny, die ganz genau wußte, daß so etwas ihre Fähigkeiten überstieg. Feuer besaß kein Eigenbewußtsein. Es lebte nicht. Und das waren nur zwei von insgesamt drei Gründen.
»Aber du hättest weitaus weniger Mühe.«
»Wenn etwas die Mühe wert ist, lohnt es durchaus, sich Mühe zu machen«, antwortete Granny mit einem Aphorismus, den sie selbst nicht verstand – die letzte Zuflucht eines in Bedrängnis geratenen Erwachsenen.
»Ja, aber …«
»Keine Widerrede.«
Oma Wetterwachs kramte in einer dunklen Holzkiste auf der Garderobe. Sie war stolz auf ihre konkurrenzlosen Kenntnisse in Hinsicht auf die vielen Kräuter, die in den Spitzhornbergen wuchsen – über den unleugbaren Nutzen von Ohrenwurz, Jungmädchentraum und Liebe-lügt-Blütensaft wußte niemand besser Bescheid als sie. Manchmal aber mußte sie auf die eifersüchtig gehorteten und in aller Sorgfalt aufbewahrten Arzneien aus Weiter Ferne zurückgreifen (so nannte Granny jeden beliebigen Ort, der sich jenseits eines Radius von einer Tagesreise befand), um die gewünschte Wirkung zu erzielen.
Die Hexe nahm einen Becher zur Hand, zerrieb darin getrocknete rote Blätter, ließ Honig hineintropfen, füllte ihn mit heißem Wasser aus dem Topf und reichte ihn Esk. Dann schob sie einen großen runden Stein unter den Kamin – später, in eine Decke gehüllt, sollte er als Bettwärmer dienen –, verbot dem Mädchen streng, den Schaukelstuhl zu verlassen, und begab sich in die Waschküche.
Eskarina wippte langsam vor und zurück, schloß die Hände um den warmen Becher und nippte vorsichtig daran. Das Getränk schmeckte irgendwie nach Pfeffer, und sie fragte sich, woraus die Zutaten wohl bestanden. Sie hatte Grannys Gebräue schon des öfteren probiert – die Honigmenge darin hing ganz davon ab, wieviel kindlichen Widerstand die Hexe erwartete –, und Esk wußte natürlich, daß Oma Wetterwachs in dem Ruf stand, eine Expertin auf dem Gebiet der Heiltränke und Elixiere zu sein. Gelegentlich behandelte sie damit Krankheiten, über die Mutter Schmied (und manchmal auch einige der jüngeren Frauen) nur mit bedeutungsvoll hochgezogenen Augenbrauen und gedämpften Stimmen sprachen …
Als Granny zurückkehrte, schlief das Mädchen. Die alte Frau brachte Eskarina zu Bett und schloß die Fensterläden.
Anschließend ging sie wieder nach unten und rückte den Schaukelstuhl näher ans Feuer.
Deutlich spürte sie, daß in Esks Bewußtsein irgend etwas auf der Lauer lag. Als sie darüber nachdachte, entstand zitternde Nervosität in ihr, und sie erinnerte sich an das Schicksal der Wölfe. Und dann der Vorschlag, das Feuer im Kamin mit Hilfe von Magie zu entzünden … Zauberer taten so etwas. Es gehörte zu den ersten Dingen, die sie lernten.
Granny seufzte. Sie konnte nur auf eine ganz bestimmte Art und Weise
Weitere Kostenlose Bücher