Das Erbe des Zauberers
bezeichnen muß und nur aus Lampenblitzen und metallisch schepperndem Donner bestehen, ganz im Gegensatz zu ihren tropischen Verwandten, die sich durch ein ausgeprägtes Temperament auszeichnen und eine Vorliebe für heiße Böen und Feuerkugeln haben. Das Unwetter aber, das sich nun Ankh-Morpork näherte, hatte über dem Runden Meer klimatische Wut gesammelt und den Ehrgeiz entwickelt, den Boden mit möglichst viel Regen einzuweichen. Ein solches Gewitter legte die Vermutung nahe, der Himmel habe ein harntreibendes Mittel geschluckt. Blitz und Donner hielten sich im Hintergrund und schufen eine angemessene Kulisse für den Star auf der Bühne: den Regen. Ausgelassen tanzte er übers Land, in der festen Absicht, alle Theaterkritiker zu ersäufen.
Das Gelände der Unsichtbaren Universität reichte bis zum Fluß. Tagsüber bildeten Kieswege und Hecken ordentliche Muster, doch in einer stürmischen und feuchten Nacht schienen Sträucher und Büsche rückwärts zu wachsen; die Pfade verschwanden und machten sich auf die Suche nach einem trockenen Plätzchen.
Trübes Hexenlicht filterte matt durch das tropfnasse Blättergeflecht, aber der Regen brauchte keine Wegweiser: Er fand auch so zum Boden.
»Was hältst du davon, eine Zauberformel einzusetzen und magische Flammen oder so etwas zu beschwören?«
»Ich bin so erschöpft, daß ich nicht mal einen Käfer in eine Fliege verwandeln könnte.«
»Bist du ganz sicher, daß Esk hier entlanggegangen ist?«
»Irgendwo dort vorn befindet sich eine Anlegestelle. Hoffe ich jedenfalls.«
Es raschelte in der Finsternis – ein massiger Körper, der sich durch dichtes Buschwerk zwängte –, und kurz darauf folgte ein anhaltendes Platschen.
»Ich habe gerade den Fluß gefunden.«
Oma Wetterwachs starrte durch die strömende Dunkelheit. Sie hörte ein dumpfes Brausen, und weiter vorn glaubte sie weißen Schaum auf hohen Wellenbergen zu erkennen. Darüber hinaus nahm sie den typischen Geruch des Ankh wahr: Er deutete darauf hin, daß ihn mehrere Armeen zunächst als Toilette und dann als Massengrab für ihre erschlagenen Feinde benutzt hatten.
Knallwinkel watete niedergeschlagen auf sie zu.
»Das ist doch Wahnsinn«, sagte er und fügte hastig hinzu. »Womit ich dich keinesfalls beleidigen will, hochgeehrte Hexe. Die Flut hat den Zauberstab sicher schon ins offene Meer hinausgetragen. Außerdem erfriere ich langsam.«
»Mit dem Wetter muß man sich ganz einfach abfinden. Und da wir gerade dabei sind: Du paßt dich dem Regen nicht richtig an.«
»Bitte?«
»Du gehst zusammengekrümmt und versuchst, der Nässe zu trotzen. Du solltest … nun, den Tropfen ausweichen.«
Und tatsächlich: Grannys schwarze Kleidung schien weitgehend trocken zu sein.
»Ich werde deinen guten Rat beherzigen. Wie dem auch sei, erlauchte Frau Wetterwachs: Ich schlage vor, wir setzen uns an ein herrlich warmes Kaminfeuer und trinken das eine oder andere Glas Glühwein.«
Granny seufzte. »Ach, ich weiß nicht. Aus irgendeinem Grund habe ich angenommen, es sei ganz leicht, den Zauberstab zu finden. Normalerweise gibt er gut auf sich acht. Aber jetzt … Nun, das ganze Wasser … Und wenn er nicht schwimmen kann …«
Knallwinkel klopfte ihr sanft auf die Schulter.
»Es hat keinen Zweck, die Suche fortzusetzen«, begann er. »Unter den gegebenen Umständen …«
Ein Blitz flackerte, und Donner hallte durch die Nacht.
»Ich sagte gerade: Unter den gegebenen Umständen …«
»Was habe ich da eben gesehen?«, fragte Granny. »Wie?«
Knallwinkel musterte sie verwirrt.
»Ich brauche Licht!«
Der Zauberer seufzte naß und streckte die Hand aus. Goldenes Feuer löste sich von seinen klammen Fingern, zischte übers brodelnde Wasser und verblaßte in der Ferne.
»Dort!«, sagte Oma Wetterwachs triumphierend.
»Nur eins von den Booten«, brummte Knallwinkel. »Im Sommer paddeln unsere jungen Schüler damit auf dem Ankh herum …«
Granny hörte ihm überhaupt nicht zu, und der Erzkanzler stapfte ihr rasch nach, um nicht den Anschluß zu verlieren.
»Du hast doch nicht etwa die Absicht, bei diesem Wetter in See zu stechen, ich meine: in den Fluß, besser gesagt …«
Der Erzkanzler fuchtelte unsicher mit den Armen. »Das wäre vollkommen irrsinnig.«
Granny rutschte über das schlüpfrige Holz der fast schon überfluteten Anlegestelle.
»Du weißt doch gar nicht, wie man mit Booten umgeht!«, protestierte Knallwinkel.
»Dann muß ich es eben schnell lernen«, erwiderte die alte Hexe
Weitere Kostenlose Bücher