Das Erbe des Zitronenkraemers
zu werden.
Der berühmte Porträtmaler sprach feinstes Französisch, hatte in Antwerpen und England studiert und seine Kunst bis zur Vollkommenheit gesteigert. Seit ein paar Jahren lebte er nun in Paris.
Mein Vater hatte von seiner blühenden und lebendigen Farbgestaltung und seiner feinsinnigen Auffassungsgabe für die Darstellung seiner Modelle gehört. Nun hatte er eben diesen französischen Künstler engagiert, um ein Porträt von sich anfertigen zu lassen. Und er war tatsächlich gekommen. Aus Paris.
Mein Vater gab es nicht zu, aber ich bemerkte, er war überaus stolz darauf. Auch, wenn es ihn ein Vermögen kosten würde.
Mein Vater war Jacob Steinmetz.
Der französische Maler bat ihn, während des langwierigen Modellsitzens von seinem Leben zu erzählen. Auf diese Weise könne er Persönlichkeit und Lebenserfahrung, Gefühle und Charaktereigenschaften in das Bild einfließen lassen. Dies würde das Porträt wahrhaftiger, echter, tiefgründiger, ja einfach lebendiger wirken lassen.
Aber ich kannte meinen Vater: Nie erzählte er aus seinem Leben. Es schien so, als wäre es ihm eine Last, als gäbe es da etwas, für das er sich schämen würde. Oft hatte ich mich gefragt, was es wohl sein könnte, was ihn so betrübte. Denn er war ein sehr erfolgsverwöhnter und wohlhabender Mann.
Mein Vater trug sein bestes Gewand. Einen indigoblauen Seidenrock mit besticktem Goldkragen, darunter ein helles Hemd mit Rüschen, die am Hals emporzuwachsen schienen.
Seine Perücke war fast schneeweiß. Er räusperte sich umständlich und versuchte, sich nach den Anweisungen des Künstlers in die gewünschte Position zu rücken. All dies belauschte und beobachtete ich durch einen kleinen Spalt des dicken Vorhangs, der die Halle teilte und hinter dem ich mich versteckt hielt.
„Nun gut, wenn Ihr es wünscht und es denn dem Gelingen zuträglich ist“, gab mein Vater endlich zögerlich nach.
Nun war ich sehr gespannt. Erwartungsvoll saß ich so still wie möglich, Papier und Feder in der Hand, bereit, alles festzuhalten, was sich mir offenbaren würde.
Ich las gerne, alles, was ich an Schriften und Büchern zu fassen bekam. Vater besaß eine hervorragende Bibliothek. Ich selbst hatte mich schon versucht an kurzen Erzählungen oder kleinen, meist unbeholfenen Gedichten.
Aber nun würde ich aufschreiben, was mein Vater erzählte. Vielleicht würde ich, sein Sohn Johann, daraus eine Geschichte machen. Eine große, eine richtige Geschichte. Wie jene alten Heldensagen.
Es konnte nur eine Heldensage daraus werden. Denn er musste ein Held sein. Wie sonst wohl hätte Vater, ein ehemaliger Diener und einfacher Gehilfe, zu einem der reichsten Kaufleute Düsseldorfs avancieren können? Dies war alles, was ich von ihm wusste.
Daher gebannt, wenn auch heimlich, folgte ich dem Blick Jacobs in seine eigene Vergangenheit. Eine ganze Weile saß er da, als wüsste er nicht recht, womit er beginnen sollte. Sein Gesicht wirkte missmutig, grüblerisch, fast leidend. Anscheinend verlor er sich in Erinnerungen, die er lange Zeit nicht zugelassen hatte. Doch dann begann er, und ich fühlte mich zur Gänze darin ein. Ich ließ mich ein in seine Welt von damals, und meine Hand begann wie von selbst, seine Geschichte niederzuschreiben.
„Ihr wollt also wissen, wer ich bin?“, sprach mein Vater sein Gegenüber an. „Mein Name ist Jacob Steinmetz. Ich bin ein reicher Mann. Ich habe Vieles erreicht in meinem Leben. Vieles habe ich erlebt, manches Schreckliche, manch Schönes. Mein Eigentum habe ich mir gewaltsam zurückgenommen, ich … habe … einen Menschen getötet, was ich als rechtens erachte, zumindest in meinen Augen; ich war auf der Flucht, bin gewandert durch Feld und Wald, hungernd und ständig in Angst. Und mehrfach habe ich dem drohenden Tode getrotzt. Dennoch fand ich meinen Weg. Ich spürte die Stadt der edlen Steine auf, was mein Schicksal war; dessen bin ich überzeugt. Denn dort habe ich meine Berufung, meine Bestimmung, mein Ziel gefunden. Dort habe ich auch Freunde gewonnen, wahre Freunde, die mich hierhergeleitet haben, in diese Stadt. Düsseldorf. Die einzige Stadt für mich. Diese Stadt, die mich letztlich aufnahm und mich zu dem hat werden lassen, der ich heute bin. Ich bin nun ein gemachter Mann. Und heute, heute kann ich mir Euch, mein geschätzter de Largillière, leisten, damit Ihr ein vorzügliches Bildnis von mir erschaffen möget.“
Der Maler schaute auf und blickte Jacob unmissverständlich an. „Das
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