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Das Erbe des Zitronenkraemers

Das Erbe des Zitronenkraemers

Titel: Das Erbe des Zitronenkraemers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Kirchen
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so still, ich fühlte mich allein auf der Welt, verlassen. Kein Mensch außer mir war hier unterwegs. Warum? Auf dieser viel bereisten Handelsstraße? Was mochte sich hier ereignet haben? Es war eine trügerische Stille. Wie die Stille vor dem Sturm. Irgendetwas ging hier vor. Unwillkürlich sträubten sich mir die Nackenhaare. Ich bremste den Wagen und zügelte mein Pferd, auf dass es stehen bliebe, und lauschte. Ich hörte die Geräusche des Waldes, ein paar Zweige, wie sie im Wind raschelten, Vogelstimmen, ein fliehendes Tier. Ich hörte mein Pferd schnauben. Sonst nichts …
    Angestrengt lauschte ich weiter. Nun vernahm ich doch etwas; es hörte sich an wie das Getrappel von Pferdehufen, vielen Pferdehufen. Dann immer deutlicher. Jetzt hörte ich auch das Gemurmel von Männerstimmen. Sie kamen immer näher. Wie gebannt richtete ich meinen Blick auf die nächste Biegung des Weges. Noch sah ich nichts. Ich versuchte, meinen Karren zu wenden, aber der Weg war zu eng. Ich überlegte abzusteigen, das eine Fass zu suchen und einfach zu Fuß in den Büschen damit zu verschwinden. Aber ich grübelte zu lange, wartete zu lange. Denn jetzt konnte ich sie bereits sehen. Und sie sahen mich. Hier stand ich nun, mutterseelenallein. Wehrlos, schutzlos, ausgeliefert. Es gab kein Zurück. Und sie schritten erbarmungslos auf mich zu. Soldaten. Eine komplette französische Armee-Einheit.
    *
    Dragoner, schnelle, bewegliche Fußsoldaten zu Pferd, Degen und Musketen am Gürtel, Lederhelme.
    Ich ergab mich meinem Schicksal. Ein paar der Soldaten umkreisten mich lachend, sie verspotteten mich. Aber ich verstand jedes Wort. Zu oft und lange genug hatte Trier in den letzten Jahren unter französischer Besatzung gestanden. So war es überlebenswichtig geworden, Französisch zu erlernen. Ich beherrschte die Sprache des Feindes perfekt. Einer der Männer zog mich vom Wagen, ein anderer begutachtete mein Pferd. Alle blickten begehrlich auf die Fässer voller Wein. Welch einen Fang hatte ich ihnen durch meine Unachtsamkeit gewährt!
    Wenn ich mein Leben retten wollte, blieb mir nur noch eine Chance: alles zurücklassen, auf alles verzichten. Ob dies Gottes Strafe für mich war?
    Mir blieb keine Zeit zum Überlegen. Solange die Dragoner ihre Beute begutachteten, interessierte sich niemand für mich.
    So zog ich mich langsam zurück und sprang behände den Abhang herunter, Richtung Fluss. Mein Bein beschwerte sich pochend und schmerzend, dennoch rannte oder stolperte ich vielmehr den steilen Waldhang hinunter. Ich hörte die Soldaten lachen. Anscheinend waren ich und mein kümmerliches Leben ihnen egal. Sie hatten ein gutes Pferd ergattert, einen anständigen Transportwagen voller Moselwein sowie einen unermesslichen Schmuckschatz erbeutet, auch wenn sie vom diesem Schatz bislang nichts ahnten. Irgendwann blieb ich atemlos an einem Baumstamm gelehnt stehen.
    Wenigstens hatte ich noch unsere Börse mit der Reisekasse am Gürtel. So würde ich mich eine Zeit lang über Wasser halten können. Aber wo sollte ich hin? Zurück nach Trier konnte ich nicht mehr. Was, wenn Ambrosius wirklich schon gefunden worden war? Aber selbst, wenn nicht. An wen sollte ich mich dann wenden? An Ambrosius‘ Frau Giulia? An seinen Freund Gustavo Boltera, den Rechtsgelehrten? Niemals. Niemals hatten diese beiden Ambrosius‘ Zuneigung zu mir verstanden oder gar geteilt. Nein, ich hatte niemanden mehr in meiner Heimatstadt.
    Ich würde dieses Risiko nicht eingehen. Ich beschloss, mein Leben nun selbst in die Hand zu nehmen. Und so sollte es auch sein. Ich würde mir meinen Schmuck zurückerobern. Ich verschnaufte noch eine Weile. Dann kletterte ich den mühsamen Weg langsam wieder hinauf. In meinem Bein tobte ein unsagbares Feuer aus Pein.
    Ich hoffte inständig, die Truppe überhaupt noch einmal zu finden, so langsam, wie ich vorankam.
     
    Der Raum war still. Und es blieb still. Mein Vater schwieg nun schon eine ganze Weile. So, als sei er eingeschlafen. Er zeigte keinerlei Regung.
    Nur das sanfte Streichen des Pinsels auf der Leinwand war zu vernehmen.
    Meine Hand wartete zitternd, mit der Feder über dem Papier.
    Schließlich sprach der Künstler, zerriss die Stille: „Woran ist denn Euer Ziehvater, dieser gewisse Ambrosius Carove, gestorben, Monsieur?“
    Vater blickte zu Boden. Seine Stimme war kaum zu vernehmen. „Darüber möchte ich nicht sprechen. Habt Verständnis. Die Erinnerung daran ist zu schrecklich, zu entsetzlich.“
    „Ah, oui, je comprends“,

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