Das Erbe
hatte ich es oft genug getan.
Danach hatte ich nie wieder eine Waffe in die Hand genommen. Nie wieder. Nur in meinen Träumen. Aber jetzt sehnte ich mich danach, das Gewehr meines Vaters in der Hand zu halten und einfach loszustürmen.
Der Panzer, den ich die letzten Jahre aufgebaut hatte, fiel von mir ab. Aber etwas tief in meinem Inneren hielt mich zurück. Wenn ich meine Wut zuließ, dann war ich nicht besser als Jacob.
Hektisch begann ich, auf dem Display herumzudrücken. Meine Finger waren kalt und feucht. Ich spürte kein Gefühl mehr in ihnen. Immer wieder rutschte der rechte Zeigefinger auf dem Touchscreen ab.
»David, was machst du? Lass das.«
»Ich rufe ihn zurück.«
Robert packte meine Hand und zog sie weg.
»Nein, hör zu.«
»Schluss damit. Ende. Ich kann nicht hier herumstehen und abwarten.«
Ich drehte mich um. Es war mir egal, scheißegal, ob mich jemand erkannte. Roberts Rufe ignorierte ich, wusste nicht einmal, ob er mir folgte. In wenigen Schritten hatte ich wieder den Parkplatz erreicht und versuchte, so gut es ging, durch den Nebel zu spähen.
Der Parkplatz hatte sich sichtlich geleert. Einige letzte Gestalten bestiegen gerade einen Bus, ich erkannte George Tudor, der sich immer wieder umdrehte, als würde er nach jemandem Ausschau halten. Vermutlich Rose, in die er unverändert, doch hoffnungslos verliebt war. Weiter vorn, in Richtung der Straße nach Fields, konnte ich die Rücklichter einer ganze Kolonne von Fahrzeugen ausmachen. Die Evakuierung des Colleges schien fast abgeschlossen zu sein.
Auch die Sicherheitskräfte hatten sich deutlich reduziert. Nur zwei von ihnen beaufsichtigten, wie die Türen des letzten Busses sich schlossen, dann wandten sie sich um und verschwanden rasch im Nebel.
Ich zögerte nicht, sondern ging einfach los, ihnen hinterher. Ich wusste jetzt, was ich zu tun hatte.
Robert folgte mir. »Dir ist klar, was passiert, wenn sie dich erkennen?«
»Sie sollen mich erkennen. Ich werde es ihnen erklären.«
»Aber wenn sie dich erst einmal haben, dann denken sie, es ist vorbei. Sie werden nichts mehr unternehmen. Sie werden aufhören, nach ihm zu suchen.«
IHM.
Ich fuhr herum.
»Dann sag mir, was ich tun soll, Robert!«
Er starrte mich verblüfft an. Ich hatte ihn noch nie angebrüllt. »Sag du es mir doch, Mr Superhirn. Na, wo ist deine Lösung für dieses Problem?«
Er antwortete nicht.
»Siehst du! Deinem genialen Gehirn fällt nichts ein, oder? Nichts. Niente. Nada. Wir haben bisher einfach nur Zeit verloren. Zeit, Robert. Und haben nicht an das gedacht, worum es hier eigentlich geht. Nein, nicht, worum. Sondern, um wen.«
Wieder setzte er mich mit seiner Fähigkeit, eine Situation sofort zu begreifen, in Erstaunen. Seine Hände zitterten, als sie nach der Brille griffen, die schief in seinem Gesicht hing. Ich konnte sehen, dass er noch blasser geworden war. Und zum ersten Mal, seit ich ihn kannte, fluchte er aus vollem Hals: »Scheiße, verdammte Scheiße. Es gibt kein Muster, oder, David? Das ist nicht einfach ein Amoklauf.«
»Nein, Robert. Hier spielt jemand ein Spiel.«
Jemand.
Ich spürte, dass Robert an etwas anderes dachte. Aber wir meinten dasselbe. Und deshalb schickte ich Chris keine Antwort.
Noch während wir auf dem Parkplatz standen, lichtete sich der Nebel ein wenig. Auf der grauen Leinwand, die das Tal überzog, zeichneten sich Umrisse von Bäumen ab. Drei Meter von mir stach ein Abfallkorb aus dem Schnee. Dann kam ein einzelner hochhackiger Schuh dazu, der herrenlos auf dem Gehweg herumlag. Seine Besitzerin war zu verängstigt gewesen, um umzukehren und ihn sich zu holen. Oder zu schwer verletzt? Sie hatte ihn jedenfalls einfach liegen gelassen.
Nicht weit entfernt konnte ich die Umrisse der Gebäude ahnen. Das fahle Licht der Außenlampen färbte den Nebel orange und ließ hier und da Lücken in seinem Dunst erkennen.
Wir schlugen den Uferweg ein und gingen von dort gemeinsam in Richtung Hauptportal. Als wir die Treppe vom See hochkamen, erkannten wir die Polizisten und Sicherheitsbeamten vor dem Gebäude. Sie hielten die Waffen im Anschlag und spähten durch den Nebel.
Ich ahnte, auf wen sie warteten. Und mir war klar, welches Risiko ich einging. Ein falscher Schritt, eine flüchtige Bewegung, und sie würden schießen.
Dennoch ging ich weiter. Das Wichtigste war jetzt, Ruhe zu bewahren. Mein Kopf fühlte sich an wie aus Glas. Ich konnte meine Gedanken sehen.
Überleg genau, wie du reagierst. Du darfst dir keinen Fehler
Weitere Kostenlose Bücher