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Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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erkannte die Notwenigkeit, gewisse Geschäftspraktiken von Henry zu übernehmen und arrangierte sich bei der Auftragsvergabe in gewohnter Weise mit den Saarburger Unternehmern. Natürlich versuchten diese zuerst einmal, sie, eine unbedarfte Frau, die von allem keine Ahnung hatte, über den Tisch zu ziehen. Aber in diesem Punkt zahlte sich Henrys Ordnungssinn sehr positiv aus. Er hatte über jeden seiner Freunde und Geschäftspartner ein kleines Dossier angelegt. Auch die unwichtigsten Verfehlungen waren dort nachzulesen. Genau das kam Sarah sehr gelegen.
    Und weil alles in geordneten Bahnen verlief, Sarah zum Erstaunen der Kritiker die Zügel fest in der Hand hielt, sich zum noch größeren Erstaunen auch in den diffizilsten Fragen auskannte und die richtigen Entscheidungen traf, was ihr keiner zugetraut hatte, konnte sie es sich erlauben, in Urlaub zu fahren. Mit Carmen. Beide waren inzwischen gute Freundinnen geworden, worunter Sarah verstand, dass man Distanz bewahrte, sich trotzdem gegenseitig die Meinung sagte und vorbehaltlos und uneigennützig über alles sprechen konnte.
    Der Spätsommer war so heiß, dass sie sich die Nordseeküste, nahe der belgisch – französischen Grenze, als Ziel aussuchten. Nach einigen Tagen des Entspannens, sie waren im Meer geschwommen, hatten abends lange Spaziergänge am Strand gemacht und sich von der französischen Küche verwöhnen lassen, fragte Carmen, während sie auf der Terrasse sitzend die Möwen beobachteten und dem Meer lauschten: »Sarah, bist du nun glücklich?«
    »Was heißt Glück? Irgendwie bin ich ans Ziel gekommen. Ich bin frei. Und Freiheit ist doch auch eine Art Glück, findest du nicht?«
    »Aber ist es das, was du erreichen wolltest?«
    Sarah überlegte einige Sekunden: »Wie soll ich die Frage verstehen?«
    »Nun, Henry wird in der Anstalt bleiben, du bist die Inhaberin eines Autohauses, wirst respektiert, man möchte deine Meinung hören und akzeptiert deine Entscheidungen. Du wirst zu allen Festivitäten eingeladen, hast Macht, und deine Stellung in der Saarburger Gesellschaft ist unangefochten. Du bist eine richtige Glücksfee, könnte man meinen. Ist es das, was du erreichen wolltest? Oder fehlt nicht doch noch etwas zum Glück? Etwas Entscheidendes?«
    »Es gibt kein perfektes Glück«, wich Sarah aus. »Natürlich fehlt mir etwas. Und zwar die Liebe zu … einem Mann. Wellstein wird es wohl nicht sein. Er ist amüsant, gebildet, humorvoll und jeder Situation gewachsen, aber das allein genügt mir nicht. Es fehlt der … der Kick.«
    »Welcher Kick? Etwa der, den dir Vanessa, die schöne Unbekannte bereitet hat? Ein Reiten auf der Schneide der Gefühle? Dieses prickelnde Kitzeln, welches dich unbeholfen und anfällig macht? Diese Empfindungen, die dir kein Mann, egal, wie geschickt er mit seinem Penis oder seinen Händen umgeht, bereiten kann?«
    Sarah zuckte mit der Schulter und drehte das Gesicht in den Wind. Ihre Haare flatterten leicht.
    »Einmal in deinem Leben hast du an die Pforte der höchsten und schönsten Gefühle angeklopft. Man hat dir einen kleinen Einblick gewährt, sozusagen eine Kostprobe, und dir zugleich einen Schlüssel mitgeliefert, mit dem du diese Pforte ganz weit aufsperren könntest. Möchtest du denn überhaupt einmal dieses neue, wogende, dich erfüllende Gefühl zu Ende leben? Zugleich Mann und Frau sein, geben und nehmen und genau wissen um all das, was du dir erträumst, um es an deine Partnerin weiterzugeben?«
    Sarah schaute ihre Freundin an. »Willst du mich anbaggern?«, scherzte sie.
    »Nein.«
    »Du redest aber so. Dabei liegt deine Erfahrung doch fast zwanzig Jahre zurück.«
    Carmen lächelte auf eine verinnerlichte Art, als sei es für eine andere Welt bestimmt, die Sarah stutzen ließ.
    »Sie liegt doch zwanzig Jahre zurück, nicht?«
    Carmen schloss die Augen. Ihre Lippen verzogen sich zu einem feinen Schmunzeln. Sie schluckte. Leicht benetzte sie mit der Zunge ihre Lippen. Es schien, als amüsierte sie sich.
    »Nein, Sarah, meine Erinnerungen sind frisch. Gerade mal ein paar Monate alt.«
    Sarah richtete sich auf. »Du …« Sie suchte nach Worten. »Du hast ein Verhältnis mit einer Frau?«
    »Was bist du so entrüstet? Ja, ich hatte ein Verhältnis mit einer Frau«, wurde sie von Carmen verbessert. »Ein schönes, erfülltes und zufriedenes Verhältnis. Sie war verheiratet.«
    »Und ihr Mann?«
    »Hat nichts davon mitbekommen. Ein Jahr lang hat er nichts mitbekommen. Was sind die Männer doch so von sich

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