Das Erwachen
überzeugt. Fühlen sie Spannung zwischen den Beinen, dann meinen sie, jede Frau haben und sie befriedigen zu können. Dabei sind ihre optimistischen zwanzig Zentimeter, wenn sonst nichts dazu kommt, und meistens kommt nichts dazu, so unbedeutend wie eine verschrumpelte Möhre. Und mit der Zeit genauso aktiv. Aber mach das mal den Männern klar. Sie verstehen es einfach nicht.«
»Wenn es doch so schön war, warum ist es dann zu Ende gegangen?«
Carmen schaute Sarah lange in die Augen. Ihr Blick war traurig. »Ich habe mich belogen. Ich bin keine Lesbe. Was ich wollte, das waren Gefühle, die mir bisher kein Mann geben konnte und wohl auch nie geben wird. Aber ich möchte diese Gefühle nicht immer nur mit einer Frau erleben. Ich will eine behaarte Brust, einen kräftigen Oberkörper, und einen Penis anfassen, der nur für mich allein da ist und nur auf mich reagiert. Ich will Bartstoppeln und eine hochgestellte Klobrille. Ich will After-Shave und Unterhosen mit einem Schlitz. Und Schuhgröße 45 und manchmal einen lauten Fluch, dass die Wände zittern. Und in starke Arme genommen werden, die mir Zeit lassen zum Träumen und die nicht gleich herumfummeln und mich betatschen.«
Sarah verstand ihre Freundin nicht. »Du redest, als könntest du heute mit einer Frau und morgen mit einem Mann zusammen sein. Oder mit beiden gleichzeitig. Ich bin da ganz anders.«
Carmen sah sie zweifelnd an. »Bedeutet das, du wärest nicht mit der Schönen mitgegangen? Ich meine Vanessa aus dem Amüseum?«
Sarah reagierte nicht.
Carmen wusste es besser. »Du wärest mitgegangen, meine liebe Sarah. Genau wie ich auch. Erst recht nach all den Enttäuschungen und Demütigungen, die wir erlebt haben. Du und ich, wir sind zwei ausgetrocknete Schwämme, süchtig nach Zärtlichkeit, nach Liebe. Nach Vertrauen und Verständnis. Und glaube mir, schöne Gefühle entwickeln sich unglaublich schnell. Und ich bin überzeugt, Vanessa hätte dir, so wie du sie mir geschildert hast, eine Gefühlswelt gezeigt, von der du noch keine Ahnung hast. Von der du bisher noch nicht einmal zu träumen gewagt hast. Weil du nur eine schmale Einbahnstraße der Gefühle kennst, und zwar die holprige und voller Schlaglöcher versehene mit Henry.«
Sarah ließ die Worte wirken. Ihre Stimme war dunkler als sonst und klang belegt, als sie antwortete. »Vielleicht hast du Recht, Carmen. Vielleicht hast du wirklich Recht und ich wäre mitgegangen und hätte etwas erlebt, was ich mir bisher nur in meinen kühnsten Phantasien ausgemalt habe. Aber es ist vorbei, eine zweite Vanessa gab es nicht und wird es wahrscheinlich nicht geben.«
Während Carmen sie skeptisch anschaute, sprach Sarah weiter: »Ist es nicht sonderbar, dass du und ich und Henry im Grunde genommen das gleiche Problem haben? Immer auf der Suche nach einer erfüllten Beziehung, der größtmöglichen Befriedigung, nach dem schönsten und höchsten Gefühl, das schon jeder für sich einmal kennen gelernt hat? Und sich unter anderen Vorzeichen und mit einem anderen Partner wiederholen sollte? Immer aufs Neue wiederholen sollte? Du warst verheiratet und hattest eine lesbische Beziehung in einer Intensität, die alles, was dir anschließend die Ehe geboten, was dir dein Mann Kristian geboten hat, in den Schatten stellte. Ich bin verheiratet und habe zu einem Zeitpunkt, als Henry und ich schon entfremdet waren, zuerst mit Enrique und danach ansatzweise mit Vanessa etwas Ähnliches empfunden. Habe für einen Augenblick, wie du es vorhin so schön gesagt hast, an die Glückspforte geklopft und möglicherweise zweimal versäumt, hindurchzugehen. Und ich kann mir nicht helfen, aber Henry ging es ähnlich. Er war wohl mit seinem Kindermädchen Walli wesentlich glücklicher gewesen als mit mir.«
Carmen wollte protestieren, aber Sarah hob beschwichtigend eine Hand. »Erinnerst du dich an das Band? In welch warmem Tonfall Henry von Walli gesprochen, er sie als seine Mami bezeichnet hat?«
Carmen war anderer Auffassung und entgegnete fast unwirsch: »Als Ludevik bei Henry vorbeischaute, einen Tag vor dessen angeblicher Abreise in den Urlaub, da war der schon nicht mehr normal. Alles nur Gewäsch eines Kranken. Das kannst du doch nicht ernst nehmen.«
»Krank sein ist nur eine Frage der Definition, hat mal eine Ärztin zu mir gesagt.«
»Henry, dieses perverse Schwein hat dich fast umgebracht. Und wenn wir dich nicht gefunden hätten, dann wärest du nicht hier.«
»Fühlst du dich ertappt, oder warum ereiferst
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