Das Erwachen des Dunkeltraeumers
erzählt. Vielleicht solltest du mal einen Blick hineinwerfen.«
»Und wieso sollte ich das tun? Das ist bestimmt eine Falle. Hältst du mich für so naiv?«
»Ganz im Gegenteil. Ich halte dich keineswegs für naiv. Um Himmelswillen! Nein.«
Koros fasste sich mit spitzen Fingern an seine Stirn. »Lass es mich anders versuchen: Ich habe nicht vor, dich zu belügen. Ich habe dich auch noch nie belogen. Und ich schwöre dir, dass ich dich nie belügen werde. Du brauchst dich nicht zu fürchten.«
Es war absurd, aber Antilius war versucht, seinem Gegenüber zu glauben.
»Weißt du, was in diesem Buch geschrieben steht, Antilius?«, fragte Koros neugierig.
»Nein, woher?«
»In diesem Buch steht wirklich eine ganze Menge. Es birgt das Wissen um die Transzendenz und wie ich sie erlangen werde.
Aber hier stehen auch Dinge über dich , Antilius. Es enthält deine Vergangenheit. All jenes, an das du dich nicht mehr erinnern kannst. Und als ich es gelesen habe, habe ich mich wirklich gewundert, dass du dich dessen nicht mehr entsinnen kannst. Bist du gar nicht neugierig, es zu lesen? Deswegen bist du doch nach Truchten gereist. Nicht um diesem merkwürdigen alten Kauz Brelius zu helfen, sondern um etwas über dich zu erfahren. Deswegen bist du hier. Versuche erst gar nicht es zu leugnen, denn ich weiß, dass es so ist, Antilius. Du willst nichts sehnlicher als es zu erfahren. Und es steht alles hier drin. Alles. Es ist ganz einfach. Du musst das Buch nur in die Hand nehmen. Ich biete dir diese Gelegenheit nur ein einziges Mal.« Koros machte bewusst eine lange Pause. »Nur ein einziges Mal. Wenn du jetzt ablehnst, dann für immer. Hast du das verstanden?
Also nimm es!«, sagte Koros mit gierigen Augen.
Er reichte Antilius das Buch. Er musste nur zugreifen.
Es ist ganz einfach.
Ganz einfach.
Nimm es!, rief eine innere Stimme Antilius zu.
Und er tat es.
Das Buch war sehr alt. Die Seitenränder waren stark vergilbt. Es bestand aus ungefähr vierhundert oder fünfhundert Seiten. Der braune Buchrücken war unbeschriftet.
»Sieh hinein!«, flüsterte Koros auffordernd.
Antilius schlug die erste Seite auf. Dann blätterte er um. Und blätterte noch einmal. Er blätterte schließlich durch alle Seiten.
Sie waren alle leer. Nicht ein einziger Buchstabe. Nichts.
»Ich vermute, dass das kein Scherz sein soll«, mutmaßte Antilius misstrauisch und wahrhaftig enttäuscht. Enttäuscht nicht darüber, dass es nichts zu lesen gab, sondern über sich selbst, dass er ernsthaft geglaubt hat, Koros würde es ihm so leicht machen.
»Was hast du gelesen?«
»Nichts. Wie auch. Es ist ein leeres Buch.«
»Da siehst du es, Antilius. Das ist es, was ich dir zu erklären versuche. Dieses Buch ist nur für mich. Nur ich bin im Stande, es zu lesen. Nur ich kann es verstehen. Es ist für mich bestimmt.« In den Augen des Herrschers leuchtete ein Hauch von Wahnsinn auf.
»Ich hoffe du hattest deinen Spaß, mir ein leeres Buch in die Hand zu drücken«, sagte Antilius hasserfüllt.
»Sei nicht verärgert. Ich war mir nicht ganz sicher, ob du das Buch nicht doch lesen könntest. Also habe ich es dir gegeben. Deine Chance, es lesen zu können, war also echt. Ich habe dich daher nicht belogen. Aber jetzt hat sich meine Vermutung bestätigt. Nur ich bin imstande, es zu lesen.«
»Und wieso nur du?«
»Das ist mir genauso ein Rätsel, wie du es mir bist. Doch höre mich weiter an: Das Buch versucht jeden anzusprechen. Sogar mein Berater Wrax hat es gehört. Aber nur ich kann es lesen . Das Buch hat schon seit Generationen versucht, jemanden zu finden, den es für würdig erachtet, das Erbe des Transzendenten anzutreten. Es hat zu Unzähligen gesprochen und alle waren unwürdig. Aber nun hat es mich gefunden.
Du, Antilius würdest niemals weder das leiseste Flüstern vernehmen, noch das Buch lesen können. Und das ist der Grund, warum du etwas Besonderes bist.
Du bist für mich die andere Seite der Schlucht. Für mich auf ewig unerreichbar.«
Antilius dachte über diese Worte nach. »Ich gehe davon aus, dass du mir nicht verraten wirst, was du in diesem Buch über mich gelesen hast, oder?«
»Ich kann es dir nicht sagen, Antilius. Wenn ich es tun würde, dann gefährdete ich mein eigenes Vorhaben. Das Buch hat mich vor dir gewarnt. Aber jetzt, da ich sicher sein kann, dass du dich wahrhaftig an nichts erinnern kannst, was für mich von Bedeutung ist, kann ich dich noch leben lassen. Trotzdem werde ich dich im Auge behalten.« Koros
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