Das Eulentor
wasserdichten Zelten mit verschnürbaren Innensäcken. Zusätzlich waren wir mit Doppelflinten, reichlich Patronen, Feldstechern, Kompaß und einem Primusherd ausgerüstet. Der Proviant für die Hunde bestand aus Pemmikan mit Haferflocken. Außerdem hatte Vanger Fleischextrakt, Skorbutkraut, Kondensmilch, Dörräpfel, Dutzende Büchsen Mais, neunzig Kilo Fleischkonserven und hundert Kilo Schiffszwieback sowie Brennstoff für zwölf Wochen eingekauft.
Vor einem Monat hatten wir noch nicht gewußt, wie wir das alles unterbringen sollten, doch Hansen hatte eigens vier Meter lange Schlitten aus Eschenholz herstellen lassen.
Während ich mit den Männern Stunden später unser Basislager auf dem Eis errichtete, steckte Hansen bereits die ersten Schlitten zusammen. Indessen sammelten die Matrosen trockenes Treibholz am Ufer. Schon bald waren die Schlitten gepackt, und inmitten des Zeltlagers flackerte ein Feuer, direkt neben der Fahnenstange, an der die deutsche Flagge neben jener der Österreich-ungarischen k.u.k.-Monarchie gehißt wurde. Der Schein des Feuers mischte sich mit dem Abendrot zu einem einzigartigen Anblick. In diesem Zwielicht hielt Kapitän Anderson, ein gläubiger Mann, seinen ersten Feldgottesdienst an Land ab. Zunächst fürchtete ich, die Männer würden ihn deswegen belächeln, doch die weite Einsamkeit am Beginn der Arktis lehrte sowohl mich als auch den anderen Demut. Selbst Vanger, der alte, bärbeißige Proviantmeister, und Harpun, der in dieser Stunde sogar seine Waffen ablegte, waren von der Messe beeindruckt. Danach speisten wir ein letztes Mal mit den Männern der Skagerrak, dieses Mal nicht an Bord, sondern auf dem Eis. Anschließend steckte sich Hansen genußvoll eine Zigarre an und reichte die Schatulle an mich und die Männer weiter.
Es war nicht nur für ihn ein besonderer Tag, und so sollten alle etwas davon abbekommen.
Als am späten Abend kalter Nordwind aufkam, wurde es für die Skagerrak Zeit, in See zu stechen. Ich drückte Doc Travis einen Stapel Briefe in die Hand, mit der Bitte, diese in Tromsø aufzugeben. Alsbald nahmen wir Abschied von ihm, Kapitän Anderson und seinen Männern. Nachdem der letzte Matrose an Bord des Schiffes geklettert war, standen wir zu fünft am Rand der Eisscholle und sahen zu, wie sie den Anker einholten. Gott möge sie schützen – und uns!
ZWEITES KAPITEL
I n den frühen Morgenstunden des elften November bereiteten wir die Abreise vom Basislager vor. Auf jedem der drei Schlitten befand sich eine Last von 330 Kilogramm – hauptsächlich Proviant – da wir alles andere auf das Notwendigste beschränkt hatten. Da ich nicht mit dieser Kälte gerechnet hatte, begann die Abfahrt unter ungünstigen Vorzeichen. Sogar den Hunden schien das Wetter nicht zu gefallen. Sie standen dicht gedrängt vor den fertig gepackten Schlitten und warteten ungeduldig auf Harpuns Zeichen. Offensichtlich tat ihnen die Kälte weh, da sie abwechselnd die Pfoten hoben und für einen Augenblick in der Höhe hielten, ehe sie sie wieder senkten. Nur Samson ertrug die Kälte mit der Gelassenheit eines Leithundes.
Als Vanger und Christianson stumm ihre Rucksäcke schulterten und den Schlitten bestiegen, stand Harpun bereits, mit der Büchse in der Armbeuge, auf seinem Gefährt. Auch wenn die Männer im Moment nicht viel miteinander sprachen – das würde sich im Lauf der Reise ändern, dessen war ich mir sicher. Ich vergewisserte mich, daß wir nichts vergessen hatten, dann gab Harpun das Kommando zum Aufbruch.
Hansen und ich fuhren mit dem dritten Schlitten. Für unseren Marsch stand uns hauptsächlich Fridtjof Nansens grobe Skizze zur Verfügung, der wir entlang der Küste nach Norden folgen wollten. Wir beabsichtigten, die Insel im Uhrzeigersinn zu umrunden, jeden Fjord landeinwärts zu erkunden und dabei sämtliche Berge zu katalogisieren. Während der Pausen, in denen Hansen die Karte zeichnete, markierte ich unsere Route, indem ich Bambusstangen mit Stockfischen ins Eis steckte.
Als wir gegen Mittag weiterfuhren, starrte ich mit gemischten Gefühlen über die öde Eiswüste auf die herannahende Schlechtwetterfront. Um so mehr bewunderte ich Hansen, der trotz der Kälte seine Euphorie behielt. Als habe der Walfänger, wie sich Jan Hansen selbst nannte, ein Leben lang nichts anderes getan, schnallte er seine Skier an und ließ sich hinter unserem Schlitten herziehen.
Je länger wir fuhren, desto häufiger kniff ich die Augen zusammen. Die verdammte Helligkeit
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