Das Eulentor
Motoren-Werken, der Hohenzoller Zahnradfabrik, der Faber-Elektrotechnik und dem Unternehmen von Carl Friedrich von Hansen verschlossen. Ich ahnte, was darin stand. Das Projekt sei vorerst beendet, denn die Länder mußten aufrüsten, da Europa ein Krieg bevorstand. Damit gehörte die Erforschung des Schachts der Vergangenheit an – so oder so, das Ende war eingetreten. Allerdings wußte der Industrielle Carl Friedrich von Hansen noch nicht, daß sein älterer Bruder, der Walfänger von Rostock, gestorben war. Nach diesem Todesfall war ich der letzte Überlebende der Berger- und Hansen-Expedition aus dem Jahre 1911. Die Karte, die wir damals von Spitzbergen anfertigen wollten, war nie beendet worden, und soviel ich wußte, gab es bis heute keine exakte Landkarte von der Insel. Ich selbst kannte nur die Bucht – diese allerdings wie meine Westentasche. Und natürlich den Schacht, der sich von der Teufelsebene in die Erde grub, wohin auch immer er führte, und den ich hoffentlich für alle Zeiten verschlossen hatte, bevor eine weitere seelenlose Kreatur daraus hervorsteigen konnte.
Die Taschenuhr zeigte einundzwanzig Uhr. Mein Blick fiel auf meinen Unterarm. Ich schob die Bandage zur Seite. Die aschengraue Färbung hatte sich ausgedehnt und reichte mittlerweile über den Ellenbogen bis zum Ansatz des Oberarms. Noch dazu war der Farbton dunkler geworden und von violetten Adern durchzogen, als sei der Arm abgestorben. So etwas hatte ich noch nie gesehen – schmerzfrei, aber dennoch eiskalt und bewegungslos. Der Schacht hatte mich verändert, ich spürte es. Aber ich wußte nicht, wieviel Zeit mir noch bleiben würde.
Nach einer Weile erreichte der Schoner jene Stelle, wo der Fjord ins Meer mündete. Kapitän Anderson steuerte die Skagerrak auf die offene See. In weiter Ferne hörte ich das Kreischen einer Schneeeule. Ich blickte mich um. Wenige Minuten später kam die Sonne hinter dem Gebirgsmassiv zum Vorschein. Ihre Strahlen fielen wie Säulen durch die Löcher in den Wolken und trafen aufs Meer, wo sie die Wellen zum Glitzern brachten. Ich beobachtete das funkelnde Kielwasser, welches das Schiff hinterließ. Nach und nach wurden die Spuren von den Wellen verwischt. Ich hoffte, die Erinnerung würde ebenso bald in meinem Gedächtnis verblassen.
Während ich Roys Fell kraulte, wurde die Insel immer kleiner, bis sie nur noch fingernagelgroß am Horizont zu erkennen war. Als der Schoner auf einen Wellenkamm gehoben wurde, nahm ich kurzerhand das Bündel Briefe und schleuderte es über die Reling. Roy hob für einen Augenblick den Kopf und sah den Papieren nach.
»Schon gut, alter Junge«, sagte ich. Der Wind trug die Schriftstücke übers Meer, bis ich sie aus den Augen verlor. »Daran wird sich bald niemand mehr erinnern können.«
Der Schacht hatte sein Geheimnis noch lange nicht preisgegeben. Trotzdem wußte ich, daß ich nie wieder zurückkehren würde. Vielleicht würden ihn spätere Generationen erforschen und seine Rätsel lüften.
DANKSAGUNG
»Endlich eine angenehme Temperatur hier im Lager.«
»Wird sich aber nicht lange halten.«
»Wir uns auch nicht.«
»Wie sollen wir das schaffen?«
»Vielleicht sollen wir es gar nicht.«
aus John Carpenters
Das Ding aus einer anderen Welt (1982)
Vor Jahren wurde ich einmal bei einem Interview gefragt, ob ich mir vorstellen könne, einen historischen Roman zu schreiben. Um bei der Wahrheit zu bleiben, meine Antwort lautete: »Um Himmels willen, nein!« Doch als ich das Konzept für »Das Eulentor« erstellte, Bücher las, Filme schaute und schlicht Ideen sammelte, hatte ich meine alte Liebe für die Werke Jules Vernes, Mary Shelleys und Edgar Allan Poes wiederentdeckt. Was war also naheliegender, als die Romanhandlung an den Beginn des vorherigen Jahrhunderts zu verlegen? Bitte verzeihen Sie mir daher meine übereilige Interviewantwort von damals. Neben den erwähnten Klassikern war der obengenannte Film eine weitere, ebenso wichtige Inspirationsquelle. Der Ausspruch »Die Eulen sind nicht, was sie scheinen« stammt übrigens aus der TV-Serie »Twin Peaks«, die ich als bekennender David Lynch-Fan ebenso schätze.
Für die zahlreichen Anmerkungen und Verbesserungsvorschläge zum Manuskript bedanke ich mich wie immer bei meinen unermüdlichen Testlesern, die mich schon so viele Jahre begleiten: Günter Suda, Jürgen Pichler, Roman Himmler und meine Frau Heidemarie. Sie sind es, die mich auf den Boden der Realität zurückholen, wenn
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