Das Evangelium nach Satan
war.
»Ist sie wenigsten hübsch?«
»Sie ist sehr schön. Übrigens steht sie gleich hier neben uns. Sie sieht Sie an. Sie trägt ein blaues Kleid und ein Achat-Armband.«
Bei diesen Worten hatte Crossman einen leichten Lavendelgeruch wahrgenommen, und Tränen waren ihm in die Augen gestiegen. Es gab in seinem Leben eine große Wunde, die sich nie schließen würde. Zwölf Jahre zuvor war seine Frau Sarah samt ihren drei Kindern bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Vier verkohlte Leichen in einem Buick, den der Aufprall so zusammengeschoben hatte, dass er in eine Badewanne gepasst hätte. Kurz vor ihrem Tod hatte er ihr ein Achat-Armband geschenkt. Das wusste außer ihm niemand.
Nach Sarahs Tod hatte er sich mit Arbeit betäubt wie andere mit Alkohol. Auf diese Weise war er auf der Karriereleiter im FBI rasch aufgestiegen.
Als sie merkte, wie gerührt er war, hatte Maria seine Hand genommen. Crossman hatte etwas Dummes vor sich hin gestammelt, als handele es sich nicht um eine Tote: »Geht … geht es ihr gut?«
»Ja.«
Nach längerem Schweigen hatte er Marias Hand fest gedrückt und sie mit kaum wahrnehmbar zitternder Stimme gefragt: »Braucht sie etwas?«
»Nein. Aber Sie brauchen sie. Sie versucht, Ihnen etwas zu sagen, aber Sie hören sie nicht. Sie versucht Ihnen zu sagen, dass sie seit zwölf Jahren in Ihrer Nähe ist. Nicht immer, aber von Zeit zu Zeit. Sie kommt immer wieder. Sie bleibt eine Weile und geht dann.«
»Und sagt sie etwas?«
»Sie sagt, sie ist glücklich, wo sie ist, und sie möchte, dass auch Sie glücklich sind. Sie habe nicht gelitten, als sie starb, und auch die Kinder nicht. Außerdem sagt sie, dass Sie sie jetzt vergessen sollen und wieder anfangen müssen zu leben.«
Crossman hatte sich bemüht, nicht zu schluchzen.
»O mein Gott, sie fehlt mir so sehr.«
Maria hatte taktvoll geschwiegen.
»Und … können Sie ihr sagen, dass ich es versuchen werde?«
»Das müssen Sie selbst tun. Sie ist da. Sie hört Sie.«
»Und dann?«
»Was und dann?«
»Kommt sie dann wieder?«
»Sie wird jedes Mal da sein, wenn Sie sie brauchen. Und wenn dann eines Tages Ihr Kummer vergangen ist, wird sie gehen.«
»Dann sagen Sie ihr, dass ich sie gar nicht vergessen will.«
»Das müssen Sie aber, Stuart. Sie müssen ihr ermöglichen zu gehen.«
»Wo ist sie jetzt?«
»Genau vor Ihnen.«
Crossman hatte leicht die Hand gehoben und inmitten des Lärms der Gästeschar etwas gemurmelt. Er hatte Sarah um Entschuldigung dafür gebeten, dass er sich an jenem Vormittag nicht von ihr verabschiedet hatte, und gesagt, dass es ihm leid tue, sie nicht ein letztes Mal in die Arme genommen zu haben. Nach einigem Schweigen hatte er die Hand sinken lassen und gefragt: »Ist sie noch da?«
»Sie geht.«
Daraufhin hatte er tief die Luft eingesogen im Versuch, den Lavendelgeruch festzuhalten, der sich verflüchtigte. Nachdem er seine getönte Brille aufgesetzt hatte, damit niemand seine Augen sehen konnte, hatte er gesagt: »Wir wollen nie wieder darüber sprechen, einverstanden?«
Maria hatte genickt, und sie hatten sich beide Wort gehalten. Das aber hatte ihn nicht daran gehindert, sie ans andere Ende der Welt zu schicken, damit sie sich dort an die Stelle einer alten, eingemauerten Nonne versetzte.
Er fährt zusammen, als er Valentinas Hand auf seinem Arm spürt. Durch seine getönten Brillengläser sieht er zu ihr hin. Wie ähnlich sie Maria sieht! Mit Mühe schluckt er den Kloß herunter, der sich in seiner Kehle gebildet hat. Beim Blick in die Ferne sieht er die grünen Felder am Po und die Vorberge der Dolomiten. Irgendwo dort ist Maria. Lavendelgeruch steigt ihm in die Nase. Er schließt die Augen.
42
Der Feuerwehr ist es gelungen, den Brand tief unter dem Vatikan einzudämmen. Allmählich löst sich der schwarze Rauch auf. Die Straßen sind voller Neugieriger. Unaufhörlich zeichnen die Kameraleute des Fernsehens alles auf, was ihnen vor die Linse kommt. Niemand hebt den Blick, niemand sieht den Zug der Kardinäle und Schweizergardisten, der über den alten Wehrgang der Engelsburg entgegenstrebt. Wenige Meter vor den Mauern der alten Festung dreht sich Kardinal Giovanni mit einem Seufzen um.
»Jetzt ist alles verloren.«
»Was?«
»Das Archiv, die Pergamente, der Schriftwechsel der Päpste.«
Der alte Mendoza lächelt.
»So etwas hat der Vatikan im Laufe seiner langen Geschichte schon des Öfteren erlebt. Daher wird alles rasch aus der Asche wieder auferstehen. Ohnehin haben sich die
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