0153 - Sie nannten sich Löwen und Tiger
Als ich am 7. Juli um neun Uhr mein Office betrat, fand ich ein Extrablatt der Morning News auf meinem Schreibtisch vor. Ein Artikel war rot angestrichen:
Zwei Jugendliche ermordet.
Zu einer Schießerei kam es heute Nacht in der Allan Street, nicht weit vom 7. Polizeirevier in Manhattan-East-Side. Ein Junge und ein Mädchen wurden von Kugeln förmlich durchsiebt. Die Polizei ist der Ansicht, dass der Vorfall im Verlauf der schon seit längerer Zeit andauernden Auseinandersetzungen zwischen Gangs von Minderjährigen stattfand.
Der Gouverneur von New York, Nelson A. Rockefeller, hat sich eingeschaltet und verlangt, dass dem Unwesen jungendlicher Gangsterbanden energisch Einhalt geboten wird.
Keine Psychiater, keine sanfte Fürsorge, sondern Polizei und Justiz müssen in Aktion treten. Es wird höchste Zeit.
Wie uns mitgeteilt wurde, hat der Gouverneur das FBI um Hilfe gebeten.
Ich hatte den Artikel kaum zu Ende gelesen, als das Telefon läutete. Mister High ließ mich rufen. Ich machte mich auf die Socken und fand Phil Decker bereits im Office des Chefs vor.
»Setzen Sie sich, Jerry«, bat Mister High und kam dann ohne Umschweife zum Thema. »Heute Morgen rief mich Mister Wagner, der Oberbürgermeister, an, und bat uns die City Police in ihrem Kampf gegen die jugendlichen Gangs zu unterstützen. Es ist selbstverständlich, dass ich ihm unsere Hilfe zugesagt habe. Und jetzt zu einem Punkt, an dem ich privat interessiert bin, der jedoch mit dem Komplex, um den es hier geht, in Zusammenhang steht. Ich bin ein wenig mit der Familie Hudson befreundet. Dr. Lloyd Hudson ist ein Wissenschaftler von einigem Ruf, seine Frau heißt Flora, und sie kenne ich aus meiner Jugendzeit her. Das Ehepaar hat eine Tochter namens Margret, achtzehn Jahre alt, und einen Sohn von einundzwanzig, der Bob heißt. Mrs. Hudson macht sich nun Sorgen um ihre beiden Kinder. Sie selbst ist kränklich, während ihr Mann gänzlich in seine Arbeit vertieft ist. Sie glaubt, dass die beiden Kinder in schlechte Gesellschaft geraten sind, und hat mich gebeten, dieser Sache einmal nachzugehen. Ich hätte ihr Ersuchen natürlich ablehnen müssen, denn wir sind schließlich kein öffentlicher Kindergarten. Jetzt ist die Sache insofern anders, als die Möglichkeit besteht, dass wir auf diesem Wege wenigstens an eine der Banden herankommen können.«
Was Mister High uns dann erzählte, war eine allgemein bekannte Tatsache. Die Gewalttaten Jugendlicher hatten in der letzten Zeit ein unerträgliches Ausmaß angenommen. Mord und Totschlag waren an der Tagesordnung. Die Gangs der Teufel, der Löwen, der Bischöfe - es gab da noch eine Menge anderer mit den verrücktesten Namen - lieferten sich blutige Schlachten. Die Bereitschaftswagen der Polizei kamen immer um eine Nasenlänge zu spät, und wenn man mal einen Nachzügler schnappte, so behauptete dieser, von nichts zu wissen und mit der Geschichte nichts zu tun zu haben.
»Ich würde Ihnen raten, sich zuerst einmal mit der 7. Polizeistation in Verbindung zu setzen«, fuhr unser Chef fort. »Wenden Sie sich an Detective-Lieutenant Stanley. Einen offiziellen Auftrag, Mrs. Hudson aufzusuchen, kann ich Ihnen nicht geben, aber ich würde es begrüßen, wenn Sie zu ihr gingen…«
»Die Sache hat einen Haken«, meinte Phil nachdenklich. »Wenn wir irgendwo als G-men auftreten, ist es sicher, dass dort vorerst nichts mehr passiert.«
»Sie brauchen ja gar nicht zu sagen, woher Sie kommen«, erwiderte Mister High. »Es genügt, wenn Mrs. Hudson Bescheid weiß. Sie wird in jedem Fall schweigen. Und…«
Das Telefon klingelte. Mister High nahm den Hörer auf, hörte eine Weile zu uns sagte dann:
»Ich werde Ihnen Cotton und Decker schicken. Sie sind angewiesen, in jeder Hinsicht mit Ihnen zusammenzuarbeiten…Ja, in etwa einer halben Stunde.«
Als er auflegte, erklärte er: »Das war Detective-Lieutenant Stanley. Es freut sich darauf, mit Ihnen zu sprechen.«
»Okay, Chef«, sagte ich und stand auf. »Wir werden ihn zuerst aufsuchen und dann setzen wir uns mit Mrs. Hudson in Verbindung.«
Lieutenant Stanley war ein alter Beamter, dem man so leicht nichts vormachen konnte. Er begrüßte uns mit einem Entgegenkommen, das wir von Seiten der City Police durchaus nicht immer zu erwarten haben.
»Es ist eine elende Schweinerei«, meinte er. »Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Gangs hat es schon immer gegeben, und bis jetzt sind wir noch immer damit fertig geworden, aber in letzter Zeit wächst uns die
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