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Das ewige Leben

Das ewige Leben

Titel: Das ewige Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
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einfach auf der erstbesten freien Fläche, die er ertastet hat, hingelegt. Er hat in die Dunkelheit gestarrt und versucht, sein Zittern zu unterdrücken. Aber es hat nichts genützt, weil wenn er sich mit der Kälte angefreundet hat, ist die Angst stärker geworden, und wenn er sich mit der Angst angefreundet hat, ist wieder die Kälte stärker geworden.
    Beruhigt hat er sich erst wieder, wie der Zug losgefahren ist. Jetzt hätte er sogar lautstark zittern und singen und pfeifen dürfen, jetzt hätte er sogar vor Angst schreien können, und niemand hätte etwas gehört. Weil wenn so ein Güterzug einmal halbwegs eine Geschwindigkeit hat, das ist ein Lärm, das hat mit dem Gehörsinn überhaupt nichts mehr zu tun. Das musst du dir vorstellen, wie wenn du dir eine Kugel in den Kopf schießt, aber nicht nur ein einziges Mal, sondern hundertmal pro Sekunde.
    Aber ob du es glaubst oder nicht: Eingeschlafen ist der Brenner trotzdem sofort. Erstmals seit er aus dem Koma erwacht ist, hat er wieder gut geschlafen. Besser geschlafen als ein Neugeborener, wo es immer heißt, dass die so gut schlafen, weil die Neugeborenen ja fürchterlich desinteressiert an der Welt, die verschlafen ihre beste Zeit, weil ich glaube fast, unsere schöne Welt kommt diesen halbblinden Würmern ungefähr vor wie ein finsterer Müllwaggon.
    Jetzt was ist besser als neugeboren? Besser als neugeboren ist tot. Weil sonst immer das Problem mit dem Aufwachen.
    »Brenner!«, ist ihm eine Stimme in den Schlaf gefahren, dass er geglaubt hat, die Schwester Corinna hat sich zu ihm auf den Müllwagen geschlichen.
    Und siehst du, so daneben ist der Brenner damit gar nicht gelegen. Weil wie er endlich die Augen aufgekriegt hat, grinst ihn der Tomas an. Die drei anderen Zigeuner haben auch gegrinst, aber ohne Zähne. Manche Zigeuner haben Goldzähne, aber viele Zigeuner haben nur Zahnlük-ken, weil da gehen die Zähne bei den Zigeunern oft schon früh auf Wanderschaft. Auf die Goldzähne sind die Nichtzigeuner immer wahnsinnig neidig, frage nicht, aber auf die Zahnlücken sind nicht einmal die allergrößten Neidhammel neidig. Obwohl. Auf dieses Lächeln hätte man schon neidig sein können, weil die haben sich gerade wahnsinnig amüsiert.
    »Du schläfst ja wie ein Säugling«, hat der Tomas gegrinst.
    »Was tust denn du da?«
    »Meine Tante hat gesagt, du brauchst einen Reiseleiter.«
    »Was für eine Tante?«
    »Die Handleserin.«
    »Das ist deine Tante?«
    Der Tomas hat ihn angezwinkert, quasi: Jetzt traust dir nicht sagen, dass ich dann ja auch ein Zigeuner bin.
    »Dann bist du ja auch ein Zigeuner«, hat der Brenner gesagt, weil er war jetzt im Aufwachen noch nicht so schnell, dass er das Zwinkern gleich richtig eingeordnet hätte.
    Der Tomas hat böse geschaut. Aber nicht wegen dem blöden Kommentar vom Brenner, sondern er hat etwas gesehen, was die anderen noch nicht gesehen haben.
    »Wieso fährt der Zug nicht?«, hat der Brenner gefragt.
    »Wir stehen schon seit einer halben Stunde. Aber weißt du, was noch schlimmer ist als stehen?«
    Der Brenner keine Antwort. Gleich beim Aufwachen mit Fragen traktiert werden, das hat sogar zu den schlimmsten Dingen gehört, die er sich vorstellen konnte.
    »Gehen«, hat der Tomas den fragenden Blick vom Brenner beantwortet und mit seinem Kopf hinter den Brenner gedeutet.
    Weil hinter dem Rücken vom Brenner ist gerade ein Bahnarbeiter in den Waggon geklettert, und der hat sie natürlich alle miteinander vom Zug gejagt, ja was glaubst du.
    Ich muss aber fast sagen, dass das für den Brenner zuerst einmal ein Vorteil war. Weil kaum waren sie herunter vom Zug, haben ihm die drei schweigsamen Zigeuner, die nicht Deutsch gesprochen haben, etwas aus ihrer Flasche angeboten, sprich Verbrüderung.
    »Du trinkst nichts?«, hat der Brenner den Tomas gefragt.
    »Ich soll keinen Alkohol mehr trinken.«
    »Fängst ja schon früh damit an.«
    »Mit dem Anfangen hab ich aber auch früh angefangen.«
    Der Brenner hat einen wahnsinnigen Durst gehabt, und drei Stunden Fußmarsch, wenn ihm das jemand vorausgesagt hätte, ich glaube, der Brenner hätte es gelassen. Soll der Mörder frei herumlaufen, drei Stunden zu Fuß, das ist nicht lustig. Nach zwei Stunden haben ihm die Füße so weh getan, dass er zu hinken angefangen hat.
    »Am liebsten würde ich meine Schuhe ausziehen«, hat er gejammert.
    »Dafür ist es noch zu kalt«, hat der Tomas gesagt.
    »Jaja, ist ja auch noch ein R-Monat jetzt.« Und wie ihn der Tomas recht

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