Das ewige Leben
nach dem Kino am rechten Mur-Ufer spazieren geht. Wenn du auf einer Bank am rechten MurUfer geschmust hast, ist sie hundertprozentig mit dir heimgegangen, linkes Mur-Ufer gemischt, fünfzig, sechzig Prozent, einmal mit heimgegangen, einmal: so weit sind wir noch nicht. Oder linkes Mur-Ufer geschmust, dann zuerst mitgegangen, aber in letzter Sekunde im Bett: lieber doch nicht. Ich bin noch nicht so weit, mein Gefühl sagt es mir anders, das Horoskop ist dagegen, tausend Ausreden, wenn man auf der falschen Mur-Seite angefangen hat. Rechtes Mur-Ufer geschmust, immer gemähte Wiese.
Aber interessant. Damals hat der Brenner seine Beobachtung herumerzählt, ohne rot zu werden. Und ich glaube nicht, dass der Brenner seit der Zeit überhaupt einmal rot geworden ist, weil erstens hat er sowieso ein bisschen eine rötliche Haut gehabt, da hat man es auch nicht so gemerkt, und zweitens war ihm nicht so schnell etwas peinlich, weil Motto: Warum soll mir das jetzt peinlich sein. Aber mitten im Sterbezimmer schaut die Soili ihn derart frech an, dass der Brenner richtig froh war über das Dämmerlicht im Sterbezimmer, weil er hat gespürt, wie ihm die Hitze ins Gesicht gestiegen ist.
Und vielleicht war es sogar eine gewisse Abwehr, eine Feigheit, dass er ausgerechnet in dem Moment wieder zu detektivischen Gedanken zurückgekehrt ist. Weil natürlich: Wenn sie das weiß, vielleicht weiß sie über den Banküberfall auch Bescheid. Womöglich Ironie des
Schicksals, und er erfährt jetzt noch von der Soili das, was er eigentlich aus ihrem Mann herauskitzeln wollte, quasi zwei Fliegen auf einen Schlag.
»Damals haben wir viel Blödsinn gemacht«, hat er gesagt.
»Das kann ich mir vorstellen.«
Das hat eher so geklungen, als wüsste sie nichts.
»Zum Teil haben wir Sachen gemacht, wo ich heute sage, das war nicht mehr gescheit.«
»Ja, haben wir doch alle, oder?«, hat die Soili gesagt.
»Ach so?«
»Ich hab in meiner Jugend auch einiges ausgefressen«, hat sie gelächelt.
Und in dem Moment, wo der Brenner schon geglaubt hat, jetzt geht es los mit dem Vertrauensverhältnis, öffnet sich die Zimmertür einen Spalt breit, und eine braune Einkaufstasche kommt durch die Tür, ein brauner Mantelarm kommt durch die Tür herein, ein nervöses Gehüstel und Geraschel kommt durch die Tür herein, ein Zitronenduft kommt durch die Tür herein, ein zweiter Mantelarm mit einem Schirm kommt durch die Tür herein, ein Geklapper und Genuschel kommt durch die Tür herein, ein weißhaariger Frauenkopf kommt durch die Tür herein, und schließlich und endlich kommt ungefähr eine halbe Stunde nach dem ersten Luftzug die ganze ältere Dame herein.
Der Brenner hat geglaubt, es wird eine Tante oder eine ältere Schwester vom Aschenbrenner sein. Weil die Mutter vom Aschenbrenner ist ja schon gestorben, wie er noch in der Polizeischule war. Das hat er so genau gewusst, weil es ungefähr zu der Zeit war, wo seine eigene Mutter in Berlin gestorben ist, weil die hat nach dem Tod ihres Mannes in Berlin noch einmal ganz neu angefangen, ob du es glaubst oder nicht, Putzfrau in einem Hallenbad, und da hat es geheißen, die Dämpfe waren vielleicht der Grund, dass sie schon mit dreiundfünfzig gestorben ist.
»Aber Mama!«, hat ihn die ärgerliche Stimme der Soili aus seinen Gedanken gerissen. »Ich hab dir doch gesagt, du brauchst nicht jeden Tag kommen.«
Jetzt natürlich Mama immer schlecht. Besonders wenn du als Brenner gerade eine wichtige Besprechung mit der Tochter hast. Und besonders, wenn die Mama so mit dem kränklichen Ehemann sympathisiert, dass sie ihn jeden Tag im Sterbezimmer besucht, aber den Kollegen Brenner gar nicht richtig bemerkt.
»Das ist der Herr Brenner, ein Kollege vom Erwin. Meine Mutter«, hat die Soili die beiden vorgestellt.
»Grüß Gott, Brenner. Sehr erfreut«, hat der Brenner gesagt und ihr die Hand hingestreckt.
Du wirst sagen, »sehr erfreut« untypische Freundlichkeit für den Brenner. Und so etwas rutscht dir natürlich am ehesten mitten im schönsten Zwiespalt heraus. Weil einerseits war er natürlich überhaupt nicht erfreut über die Störung, ganz klare Sache. Aber wieder das mit den Gefühlen. Wo man oft mitten im einen Gefühl ein anderes hat. Weil mitten in dem privaten »nicht erfreut« hat er eben doch ein winziges detektivisches »erfreut« gehabt, sprich Hoffnung: Vielleicht rutscht der Mutter etwas über den Schwiegersohn heraus.
»Grüß Gott, Marie«, hat die alte Frau gesagt und gleich einen
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