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Das ewige Leben

Das ewige Leben

Titel: Das ewige Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
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sondern ihm ist vorgekommen, die pfeifen, er hat sich eingebildet, die Katzen pfeifen seinen Ohrwurm: »Lustig samma, traurig samma.« Weil interessant. Obwohl das zwei komplett unterschiedliche Melodien waren, das Zigeuner-Bierlied und das Reklame-Bierlied, die Katzen haben das gekonnt, dass es bei ihnen zu ein und derselben Melodie verschmolzen ist.
    Aber das ist ihm natürlich nur im Nachhinein so vorgekommen. Zuerst ist ihm ja noch gar nicht richtig schlecht gewesen, sondern erst hinterher der Eindruck, mit den Katzen hat es angefangen. An den Katzengesang hat er sich erinnert, und an die Stille hat er sich erinnert, und an diese ungute Eile hat er sich erinnert, die auf einmal in die Schritte seiner Begleiter gefahren ist.
    Angeblich hat sein Vater damals in einer Nacht zehntausend Schilling beim Kartenspielen verloren, sprich zwei Monatslöhne, Alkohol natürlich auch zu viel, und das war so ein Mensch, den hat der Alkohol nicht traurig gemacht und nicht lustig, sondern dritte Möglichkeit, mutig. Jetzt hat er sich gesagt, die zehntausend Schilling gewinne ich zurück, hat er wieder verloren. Schau, alles hat sein Positives, weil sie haben das Mansardenzimmer dann vermietet, und wenn der Mieter dann nicht gewesen wäre und nicht den Schuss gehört und den Brenner ins Spital gebracht hätte, wäre der Brenner auch schon mit seinem Vater und mit dem Köck und mit dem Saarinen am anderen Mur-Ufer spazieren gegangen.
    Überhaupt muss ich sagen, der Brenner immer sehr gut von seinen Großeltern erzogen, da gibt es gar nichts. Nur wenn er in den schwierigen Jahren einmal zu spät heimgekommen ist, vielleicht ein bisschen angedudelt, Jimi Hen-drix und alles, dann hat sein Großvater manchmal gesagt, du wirst genauso ein Zigeuner wie dein Vater. Nicht wörtlich gemeint, aber in diesen Jahren hat der junge Bursch sich immer gewünscht, dass es stimmt, weil Zigeuner immer ein bisschen weite Welt. Da hat er sich eine Zeit lang eingeredet, so blond bin ich gar nicht, so blau sind meine Augen gar nicht, quasi hellerer Zigeuner. Lang hat er es sich nicht geglaubt, und später komplett vergessen, und jetzt ist ihm das erst wieder eingefallen.
    Aber interessant. An seinen Vater hat er sich nicht erinnern können. Aber er hat sich immer erinnert an einen Tag, wo seine Großeltern mit so eiligen Schritten unterwegs waren, quasi erste Kindheitserinnerung. Eine erschreckende Eile in den Schritten, und später hat der Brenner sich immer eingebildet, das muss der Tag gewesen sein. Und sein Leben lang hat er sich eingebildet: Es gibt eine Art von eiligen Schritten, wo er gar nichts mehr wissen muss, weil er kennt es schon an den Schritten, dass etwas passiert ist.
    Und jetzt auf einmal die Eile in den Schritten von seinen Begleitern. Weil du darfst eines nicht vergessen. Gerannt sind sie nicht. Das wäre ein Ausdruck des Erschreckens gewesen, quasi, die wollen jetzt wissen, was in ihren Häusern los ist, die rennen, und mit dem Ausdruck des Erschreckens im Grunde schon der erste Schritt zur Besserung. Aber das hat den Brenner ja so gestört. Weil sie sind nicht gerannt. Sondern nur auf einmal die Eile in den Schritten. Diese ganz spezielle Schritt-Eile, die nur dann entsteht, wenn du gleichzeitig nach vor und zurück willst.
    Und dann die erste Tür aufgemacht. Weil es ist nicht jeder von ihnen zu seiner eigenen Baracke, sondern zu dritt die Tür vom ersten Haus aufgemacht. Und nichts zu sehen. Kein Mensch da. Jetzt einerseits Erleichterung, weil wenigstens war nichts. Und in so einer Situation ist nichts immerhin etwas. Dann zum zweiten Haus. Der Brenner hinterher. Den haben sie schon völlig vergessen gehabt. Tür auf, wieder nichts, kein Mensch zu sehen.
    Da haben die Zigeuner noch immer nicht gewusst, ob sie Erleichterung empfinden sollen oder Entsetzen. Weil Entsetzen dann erst beim dritten Haus.
     

10
    Aber interessant. Wie der Brenner zehn Stunden später wieder in Graz war, ist ihm auf einmal Graz wie eine Geisterstadt vorgekommen.
    Du musst wissen, sein Großvater hat ihm zum Schulanfang in der Puntigamer Volksschule eine Taschenlampe geschenkt. Und wenn er sich die in den Mund gesteckt hat, ist das Licht von innen durch das Gesicht gedrungen, das hat ein bisschen gespenstisch ausgeschaut. Und jetzt ist ihm vorgekommen, Graz selber muss auch eine Taschenlampe in der Größe vom Arnold-Schwarzenegger-Stadion verschluckt haben, weil alles hat so abnormal geleuchtet, dass er bei jedem Schritt Angst gehabt hat, er trifft den

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