Das ewige Lied - Fantasy-Roman
edler Herrscher. Ich will aber zuvor zum heiligen Kristall beten, damit die Göttin uns den Sieg über den Feind schenkt...“
Der dunkle Herrscher hob die Hand, und Jayel befürchtete schon, er hätte ihre Tarnung durchschaut und würde ihr den Schleier vom Gesicht reißen. Stattdessen ließ er seine behandschuhte Rechte schwer auf Jayels Schulter fallen. Die Bardin bemühte sich, ein verräterisches Zittern zu unterdrücken. „Gut so, mein Sohn“, sagte der dunkle Herrscher dumpf. „Wahre Gläubige können wir in unserem Heer immer gebrauchen.“ Dann wandte er sich ab und ging durch eine Seitentür davon.
Jayel lehnte sich zitternd an eine Säule, während ihre Freunde aus dem Schatten der Galerie hervortraten. „Gruselig“, sagte Tiark und blickte zu der Tür, hinter welcher der dunkle Herrscher verschwunden war.
Daphnus blickte Jayel ernsthaft an: „Na, willst du nicht zum Altar treten und ein wenig beten?“
„Ich fand das gar nicht komisch!“, fauchte Jayel.
„Das war es auch nicht“, stimmte Kallabul ihr zu, „das hätte ganz leicht ins Auge gehen können.“
Jayel trat zum Altar und betrachtete ehrfürchtig den Kristall. Er war tiefrot und hatte die Form eines Zylinders.
Tiark rief ihr von unten zu: „Schnapp dir das Ding, und wir verschwinden!“
„Oh nein, das werdet ihr nicht!“, erklang eine Stimme aus der hinteren Ecke des Raumes. Jayel blickte sich erschrocken um und sah den Priester, dem sie zuvor begegnet waren. Er blickte böse zu ihr auf und hielt ein Seil in der Hand, das zur Decke hinaufführte. Verbunden war es mit einer Glocke.
„Wagt es nicht, mich anzugreifen!“, zischte er. „Verlasst sofort den Tempel, oder ich läute nach den Wachen!“
„Guter Mann, lasst euch doch erklären...“, begann Kallabul, doch Jayel unterbrach ihn: „Lass ruhig, Kallabul. Dieser Kristall hier ist sowieso nicht der Echte.“
Alle starrten sie sprachlos an, auch der Priester, dem das Seil vor Verwunderung entglitt. „Woher wisst ihr das?“, fragte er entgeistert.
Jayel zuckte die Schultern: „Er pulsiert nicht, er trägt nicht das Lied in sich. Ich tippe auf geschliffenes und gefärbtes Glas.“
Der Priester nickte. „Ihr habt recht“, sagte er, „aber das bedeutet ... Ihr müsst ... habt Ihr die anderen Kristalle bereits?“
Tiark machte einen Satz auf ihn zu: „Soll das heißen, Ihr wisst von der Prophezeiung?“
Der Priester blickte ihn verächtlich an: „Natürlich weiß ich davon. Ich bin der Hüter des Kristalls!“
„Offenbar habt Ihr ihn nicht sonderlich gut gehütet“, konterte Tiark, „sonst wäre er ja noch da!“
Der Priester schnaubte: „Glaubt Ihr ernsthaft, jemand könnte den Kristall aus meinem Tempel stehlen, ohne dass ich es mitbekomme?“
Jayel fragte vorsichtig: „Soll das heißen, Ihr wisst, wo der echte Kristall ist?“
Der Priester musterte sie ein Weile schweigend. Er antwortete schließlich mit einer Gegenfrage: „Ihr seid die Auserwählte, die die vier Völker und die Kristalle vereint, nicht wahr?“
Jayel zuckte zögernd mit den Schultern. „Das sagte man mir öfters...“
Der Priester ging auf sie zu und sah sie lange von Kopf bis Fuß an. Dann nickte er: „Ich habe gewusst, dass Ihr kommen würdet. Die Vorzeichen waren einfach zu deutlich. Als dieser Irre hier auftauchte“, er wies unbestimmt in die Richtung, in die der dunkle Herrscher verschwunden war, „wusste ich zunächst nicht, ob er der Sache der Göttin dienen würde oder nicht. Erst dachte ich wirklich, er würde unserem Volk helfen. Doch dann begann er, die Frauen einsperren zu lassen und somit der Göttin zu lästern, für die alle Menschen gleich und wie Kinder sind. Früher gab es hier außer mir noch drei Priesterinnen. Er jedoch sagte, sie seien unwürdig und verbannte sie. Da erkannte ich, daß er nur Unglück bringen würde und übergab den Kristall guten Freunden.“
Er zögerte. Jayel sah ihn flehend an: „Bitte, wir müssen wissen, wo der Kristall zu finden ist. Ohne ihn können wir die Prophezeiung nicht erfüllen.“
Der Priester nickte und ergriff Jayels Arm. „Kommt mit!“, sagte er und zog sie in die Galerie. An der hinteren Wand befand sich eine Tür, die er leise öffnete. Jayel zog er noch immer hinter sich her, und die anderen folgten.
Die Tür führte in einen schmutzigen, kleinen Hinterhof. Ein baufälliges Lehmgebäude stand auf der gegenüberliegenden Seite des Hofes, die rechte Seite war durch ein Tor begrenzt und führte offensichtlich
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