Das ewige Lied - Fantasy-Roman
offenbar nicht weit genug reichte, um auch die Freiheit dieser Frauen hier zu beschneiden.
Da die Shádim mit der Prophezeiung vertraut waren, hatten sie schon recht bald erkannt, welche Gruppe vor ihnen stand. Sie versammelten sich auf dem zentralen Platz des Lagers, ließen sich im Kreis nieder und lauschten Jayel, die von ihrer Reise berichtete. Als die Bardin ihren Bericht beendet hatte, erhob sich Kaiera, die Falkenträgerin. Shenga saß noch immer auf ihrer Schulter, und auch sie schien Jayel gelauscht zu haben.
„Trotz eurer unglaublichen Abenteuer“, sagte die Shádim, „sind wir noch nicht vollkommen davon überzeugt, dass ihr die Auserwählten seid. Wir möchten euch darum einer Prüfung unterziehen.“ Jayel seufzte. Warum sollte auch gerade dieser Kristall einfacher zu erlangen sein, als die übrigen? „Der Kristall“, fuhr Kaiera fort, „liegt gut bewacht auf der Spitze dieses Berges.“ Sie deutete auf einen nahen Gipfel.
„Gelingt es euch, ihn bis heute Abend hierher zu bringen, so könnt ihr ihn mitnehmen.“
„Och, in den Bergen kenn ich mich aus, das find ich gut!“, sagte Tiark.
Jayel traute der scheinbar harmlosen Aufgabe jedoch nicht so richtig. „Schön“, sagte sie zögernd, „dann lasst uns losgehen.“
Die Shádim folgten ihnen bis zum Rande ihres Lagers, in dem sie die Pferde zurückließen. Jayel meinte leise zu Daphnus: „Bin mal gespannt, welche Fallen uns hier erwarten...“
Die erste Strecke des Weges war leicht zu bewältigen. Danach wurde es etwas steiler, aber immer noch erträglich. Als die Sonne bereits tief am Himmel stand, waren sie am Gipfel angelangt.
„Sollte das vielleicht ein blöder Scherz sein?“, fragte Tiark missmutig und sah sich um. Weit und breit war nichts von einem Kristall zu sehen. Jayel kniff die Augen zusammen und blickte sich um. Tiark untersuchte den Fels. „Kommt!“, rief er plötzlich. „Hier ist ein Einstieg. Scheint eine Höhle zu sein...“ Die anderen liefen rasch zu ihm. Der Einstieg war nicht sonderlich groß, aber sie konnten alle mit mehr oder weniger Mühe hindurch schlüpfen. In der Höhle versuchte sich Jayel zu orientieren, während Daphnus eine Fackel entzündete. Es war stockdunkel, und nur anhand eines tropfenden Geräusches und dem leichten Geruch nach Kalk konnte Jayel erahnen, was Daphnus Fackellicht gleich bestätigen sollte: Sie befanden sich in einer Tropfsteinhöhle.
„Fast wie zu Hause!“, freute sich Tiark.
„Gibt es bei dir zu Hause auch so etwas?“, fragte Gemma mit zitternder Stimme und deutete auf die Südwand der Höhle. Die anderen blickten in die angegebene Richtung.
„Oh“, meinte Tiark, „nein, Drachen haben wir nicht...“
Der Drache, der an der Südwand stand, blickte ihnen mit funkelnden Augen entgegen. Sein riesiger Kopf pendelte hin und her, und Jayel erkannte in seinen goldglänzenden Augen nicht nur Intelligenz, sondern auch die Weisheit von Jahrhunderten. Er bewegte sich nicht auf die Gruppe zu, sondern verharrte abwartend. Der Drache war etwa so hoch wie zwei Pferde, hatte rot-goldene Schuppen und Pranken, die zwei Schritt durchmaßen. Zwischen diesen Pranken lag – der Kristall. Leise knurrend erhob sich der Drache, kam jedoch nicht näher.
„Er hat die Aufgabe, den Kristall zu bewachen“, murmelte Daphnus, „und er wird sich nicht davon weglocken lassen.“
„Aber wie sollen wir da nur rankommen?“, fragte Jayel besorgt.
„Vielleicht müssen wir ihn töten?“, fragte Gemma verzagt.
Tiark blickte sie an: „Ach? Und was hast du morgen vor?“
„Kannst du den Drachen nicht mit einem Zauber von dem Kristall verscheuchen?“, fragte Kallabul Daphnus.
Der zuckte mit den Achseln. „Das kann ich versuchen, aber er wird sich nicht lange davon aufhalten lassen. Drachen sind sehr intelligent; er weiß, dass wir den Kristall mitnehmen wollen, und das will er verhindern, wie es seine Aufgabe ist.“
„Versuch es“, meinte Jayel und kramte nach dem Erdkristall in ihrer Tasche, „Ich habe da so eine Idee...“ Während sich Daphnus konzentrierte und vor sich hin zu murmeln begann, hielt Jayel den Erdkristall über ihren Kopf und schloss die Augen. Wieder fühlte sie die Macht des Kristalls und hörte plötzlich das Ewige Lied. Das Lied, das diesmal die Nuancen der Erde aufwies, erzählte von uraltem Gestein und hohem Gebirge, tiefen Schluchten und gezackten Kratern. Die Bardin begann zu singen. Sie sang von tiefen Höhlen, von fruchtbarer Erde und hartem Erz, und als sie
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