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Das Falsche in mir

Das Falsche in mir

Titel: Das Falsche in mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Bernuth
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verschwunden, nur überdeckt von alltäglichen Verrichtungen, denen ich versuche, einen Sinn zu geben, der mir nach und nach verloren geht. Das Eis, auf dem ich mich bewege, wird immer dünner, und darunter spüre ich Wesen erstarken, die ich längst besiegt geglaubt hatte. Sie ziehen ihre Kraft aus meiner moralischen Schwäche, überwuchern mich wie Schlingpflanzen, schnüren mir die Luft ab, übernehmen meinen Körper, vergiften meinen Geist.
    Und ich schaue zu und unternehme nichts, denn sie kreieren faszinierend schöne, herrlich duftende Blüten, die mich glauben lassen, wieder lebendig zu sein, nachdem ich jahrelang vor mich hin vegetiert habe.
    Zwanzig Minuten später besteigen beide Mädchen ihre Räder, um in die Schule zu fahren. Zuvor habe ich mich vergewissert, dass das Eis auf der Straße inzwischen geschmolzen ist.
    Ich sehe ihnen ein paar Sekunden lang hinterher, bis sie um die Ecke biegen, dann gehe ich zur Straßenbahnhaltestelle in der Lüderitzer Straße. Dabei höre ich eine Bachkantate, klar wie in einer Kathedrale, genieße diese angenehm disziplinierte Mischung aus strenger mönchischer Weltferne und jubelnd sakraler Selbstvergessenheit. Mit den Kopfhörern in den Ohren steige ich in die Straßenbahn, zeige meine Monatskarte,finde einen Sitzplatz und sehe aus dem Fenster. Draußen ist es sonnig und das Licht so klar und scharf, wie es nur im Herbst sein kann.
    Die Bahn fährt um eine scharfe Kurve, und ich spüre förmlich, wie sich Räder und Schienen fast ineinander verkeilen. Dann schaukelt sie hin und her, bevor sie mit dem typischen Metall-auf-Metall-Quietschen bremst, das sogar die Musik durchdringt.
    Strelitzer Platz vor dem Hauptbahnhof. Ich muss aussteigen.
    Neben mir sitzt ein Mann, der aufstehen muss, weil sein Bauch so dick ist, dass ich sonst nicht an ihm vorbeikommen würde. Ich bin verlegen wegen dieses Umstandes, murmle einen Dank, schaue ihn dabei aber nicht an, sondern senke den Blick auf den schwarz genoppten Boden, der mit einer weißlichen Schmutzschicht bedeckt ist.
    All diese Details brennen sich in mein Gedächtnis ein, denn es sind meine letzten unbeschwerten Stunden, bevor mein Leben explodiert und mir seine Trümmer um die Ohren fliegen.
    Ich nehme meine Kopfhörer aus den Ohren und verstaue sie in meiner Manteltasche. Die Kakophonie aus Straßenlärm, Stimmengewirr und dem Dröhnen der Rollkoffer auf dem Asphalt, die jetzt unmittelbar auf mich einströmt, verwirrt mich einen Moment lang; ich vergesse beinahe, dem Obdachlosen seinen täglichen Obolus zukommen zu lassen. Er sitzt immer neben einer Fußgängerampel mitten im Gewühl der An- und Abreisenden und wurde bisher noch nicht vertrieben.
    Wenn man mit ihm spricht, erzählt er, dass er früher eine Werbeagentur besessen und in Saus und Braus gelebt habe, bis er sich auf die wahren Werte besonnen und dem hemmungslosen Geldscheffeln entsagt habe, um wirklich frei zu sein. Manchmal ist die Werbeagentur auch ein unglaublich erfolgreiches Architekturbüro oder ein vornehmer Traditionsverlag für kostbare Bildbände. Das kommt ganz auf seine Stimmung an und welche Geschichte er gerne erzählen möchte.
    Ich werfe eine Münze in seinen Hut und er lächelt mich an. Sein Gesicht ist gebräunt, sieht aber trotzdem nicht gesund aus, die Haut glänzt speckig und die Augen sind trübe. Ich gehe an ihm vorbei, passiere anschließend die Taxischlange und betrete den einzigen Neubau weit und breit, ein hässliches Gebäude aus dunkelrotem Backstein mit Fensterschlitzen aus Sichtbeton. Es ist finster und unzweckmäßig. Aber das ist typisch für meine Stadt. Neue architektonische Ideen werden hier misstrauisch begutachtet und nur dann, wenn man sie gar nicht vermeiden kann, so schlecht wie möglich ausgeführt, um immer wieder den Beweis anzutreten, dass die Tradition der Fachwerkhäuser zu Recht über die Moderne siegt.
    Meine Sekretärin Grit hat mir wie jeden Morgen die Tageszeitung auf den Schreibtisch gelegt und dazu den Terminplan des heutigen Tages. Ich habe zwei Verabredungen, eine in Leyden selbst und eine außerhalb. Das bedeutet eine lästige Fahrerei, und ich erkundige mich sofort nach einem freien Dienstwagen.
    Grit sagt, dass sie sich darum kümmern werde.
    Ich bedanke mich, setze mich hin und schalte das kleine Radio auf meinem Schreibtisch ein, weil ich es zu Hause meistens nicht schaffe, Nachrichten zu hören. Eine durchdringende männliche Stimme wirbt für ein Möbelgeschäft, und ich drehe die Lautstärke so

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