Das falsche Urteil - Roman
langsam zu alt, um Jagd auf Frauen zu machen. Vielleicht sollte man lieber Zeitungsanzeigen aufgeben. Kurmann von der Fahndung hat auf diese Weise offenbar das große Los gezogen ... aber dazu muss man einfach Riesenschwein haben.«
Er verstummte und konzentrierte sich auf das Überholen eines blauen Möbelwagens, um nicht mit der Straßenbahnlinie 12 zusammenzustoßen. Münster kniff die Augen zusammen und konnte, als er sie wieder zu öffnen wagte, feststellen, dass sie es geschafft hatten.
»Und was ist mit dir?«, fragte Rooth. »Noch immer keine Probleme mit der schönsten Polizistengattin auf der ganzen Welt?«
»Das pure Paradies«, sagte Münster und musste nach kurzem Nachdenken zugeben, dass das wirklich kaum übertrieben war. Synn war eben Synn. Das Einzige, was ihm ab und zu Sorgen machte, war die Frage, was eine solche Frau eigentlich
an ihm finden konnte – an einem schlecht bezahlten Bullen, der zehn Jahre älter als sie war und so viel arbeiten musste, dass er kaum je Zeit für sie oder die Kinder hatte. Deshalb konnte er sich leicht einbilden, etwas bekommen zu haben, was er nicht verdient hatte. Und dafür irgendwann teuer bezahlen zu müssen.
Aber warum sich Sorgen machen? Er war glücklich verheiratet, hatte zwei Kinder, vielleicht sollte er einfach ausnahmsweise nur dankbar sein. Auf keinen Fall jedoch hatte er Lust, diese Fragen mit Kriminalinspektor Rooth zu diskutieren.
»Du solltest dir den Bart abnehmen«, sagte er stattdessen. »Ich als Frau würde nie auf so eine Matte anspringen.«
Rooth strich sich mit der Hand über die Wange und schaute nachdenklich in den Rückspiegel.
»Ja, Scheiße«, sagte er. »Sieht nicht schlecht aus, finde ich. Und ich bin nicht sicher, ob du verstehst, was in Frauen so vorgeht.«
»Na gut«, sagte Münster. »Mach, was du willst. Aber was machen wir nun mit Meusse?«
»Müssen ihn wohl zu einem Glas einladen, wie immer«, sagte Rooth und hielt vor der Gerichtsmedizinischen Klinik. »Oder was glaubst du?«
»Ja, das wäre sicher das Einfachste«, sagte Münster.
Meusse, der Gerichtsmediziner, hatte noch nicht letzte Hand an die Leichname dieses Tages gelegt, und statt ihn bei der Arbeit zu stören, wollten Münster und Rooth lieber in seinem Büro auf ihn warten.
Dort tauchte er mit fünfundzwanzig Minuten Verspätung auf, und Münster sah sofort, dass er einen schweren Tag hinter sich hatte. Sein dünner Vogelleib hatte größere Ähnlichkeit mit einem Skelett denn je, sein Gesicht war aschgrau, die Augen hinter den dicken Gläsern schienen tief in ihren Höhlen versunken zu sein – nachdem er sich an Bosheit und
Perversität dieser Welt satt und übersatt gesehen hatte, wie man annehmen konnte. Münster hatte es gereicht, den verstümmelten Leib fünf und die Fotos zehn Minuten lang anzusehen. Er tippte, dass der Gerichtsmediziner mindestens zehn bis zwölf Stunden in dem schwammigen Fleisch herumgewühlt hatte.
Meusse grüßte ihn stumm und hängte seinen weißen, fleckigen Kittel an einen Haken neben der Tür. Wusch sich die Hände im Waschbecken und streifte seine Jacke über, die auf dem Schreibtisch gelegen hatte. Fuhr sich zweimal mit der Hand über seinen absolut kahlen Kopf und seufzte.
»Also, meine Herren?«
»Vielleicht können wir uns über einem Glas im Fix besser unterhalten?«, schlug Rooth vor.
Das Fix lag der Gerichtsmedizin schräg gegenüber, wenn man durch die Hintertür ging, und natürlich gab es auch an diesem Tag keinen Grund, einen anderen Weg zu nehmen.
Meusse ging mit den Händen in den Taschen und hochgezogenen Schultern vorweg, und erst nach einem großen Genever und einem halben Glas Bier war er im Stande zu reden. Münster und Rooth hatten das schon häufig erlebt und wussten, dass es keinen Sinn hatte, ihn zur Eile zu mahnen – oder ihn zu unterbrechen, wenn er dann erst einmal in Gang gekommen war. Eventuelle Fragen wurden beantwortet, wenn sein Bericht beendet war, so einfach war das.
»Also, meine Herren«, sagte er. »Ich sehe, dass der Kommissar sich diesmal nicht blicken lässt. Das wundert mich nicht. Da habt ihr wirklich eine grausige Leiche erwischt. Wenn ein schlichter Pathologe einen Wunsch äußern darf, dann den, dass ihr sie in Zukunft ein wenig schneller ausgrabt. Wir finden Leichen, die seit ewigen Zeiten vor sich hin verwest sind, überhaupt nicht lustig ... drei Monate, höchstens vier, da verläuft so ungefähr die Grenze. Tatsache ist, dass einer meiner Assistenten mich heute
Weitere Kostenlose Bücher