Das Fest Der Fliegen
oder es soll. Aufhören kann ich immer noch.« »Aber du willst nicht, dass ich dir zusehe. Dann geh ich rüber.« »Nein. Bleib. Wenn du zusiehst, bin ich sicher, dass es wirklich passiert. Lach nicht. Entschuldige. Tu, was du willst.« Sie hatte sich hingelegt und war fünf Minuten später eingeschlafen. Er hatte das fertige Porträt des Täters von Edinburgh von der Staffelei genommen und vor der Westwand des Raums an die älteren, größeren Bilder gelehnt. Er hatte sich vor die rechte der beiden leeren Leinwände gestellt, in einer provokanten Pose, so als wollte er sagen: »Na, was ist?« Und mit unerklärlichem Gehorsam erschien auf der braungrünen Grundierung ein Kopf, den er seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen hatte. Sogar der Name dazu, Fred Löhning, tauchte, wie vor einigen Tagen schon, auf, jetzt aber zusammen mit der alten Akte eines Banküberfalls, bei dem Löhning, ein zweiundvierzigjähriger Elektroschlosser, der sich mit einem Hausbau in unbeherrschbare Schulden gestürzt hatte, einen Bankkunden erschossen und eine Kassiererin lebensgefährlich verletzt hatte. Kein großer Fall, Totschlag, befand das Gericht, im Zusammenhang mit Raub zehn Jahre. Aber eine ungewöhnlich dumpfe, abgestumpfte Physiognomie, bei der er schon damals nicht genau wusste, ob Brutalität oder radikale Hoffnungslosigkeit der Grund war. Jetzt malte er Löhning als leblose Maske, das Licht von oben vorn einfallend, was das Gesicht flach, die Nase noch breiter machte und die Augen, im Schatten der Brauen ohne Reflexe, wie tot aussehen ließ. In wenigen Stunden war auch dieses Porträt fertig. Und jetzt erst, am offenen Fenster, vor dem das Licht über Zungen an der Nelda schon langsam seine träge Kälte verlor, spürte er die Müdigkeit seiner Beine. »Rosenfingrige Eos«, sagte er und lachte leise. Sein Herz war wach. Er empfand eine tiefe Dankbarkeit. Als ob seinem Körper ein zweites Leben geschenkt worden wäre. Er ging zum Sofa, legte sich zu Martina und zog sie an sich. Sie knurrte leise.
Domingo erwachte vom Summen einer Fliege an seinem Ohr und roch sofort, dass er sich im Schlaf übergeben hatte. Er fand sich nicht zurecht, glaubte, in Spanien in seinem Stall auf der Erde zu liegen. Er öffnete die Augen und sah die großen Altarkerzen, die auf dem Boden um ihn brannten. In ihrem unruhigen Licht konnte er wahrnehmen, dass vier seiner Brüder vor ihm standen, in ihren dunkelblauen, mit Zingulum gegürteten Kutten, die im Kerzenschein schwarz waren. Die weißen Skapuliere, die roten Wappen mit den weißen Buchstaben IHP stachen blendend hervor. Er konnte die Gesichter, die auf ihn herabsahen, unter den Kapuzen kaum erkennen, aber wer sollte es sein, wenn nicht der Großabt Petrus Venerandus mit Gian Pietro Carafa, Philippe de la Chambre und Giovanni Salviati. Er schämte sich, so vor ihnen zu liegen, im Gestank seines Erbrochenen, mit den Ausdünstungen seines schon seit Tagen nicht mehr gewaschenen Körpers. Sie zu fragen, warum sie gekommen seien, wagte er nicht. Ihr Schweigen in der Düsternis des Raums war fürchterlich. Endlich vernahm er die Stimme von Petrus. Er sprach leise, aber in so entschiedenem Tonfall, dass seine Sätze unüberhörbar bedrohlich klangen. »Weißt du, was Jesus denen, die von ihm abgefallen sind, im Gleichnis sagt? Im Johannes-Evangelium sagt er: Wer nicht in mir bleibt, der wird weggeworfen wie eine Rebe und verdorrt, und man sammelt sie und wirft sie ins Feuer, und sie müssen brennen. Hast du nicht selbst einen der Abgefallenen verbrannt, den gotteslästerlichen Priester Lucius Mawhiney? Wie dir aufgetragen war von der Inquisitio Haereticae Pravitatis ?« »Ja. Das habe ich getan, wie mir aufgetragen war«, flüsterte Domingo. Jetzt, als seine Augen sich an die Dämmerung im Raum gewöhnt hatten, sah er, dass Giovanni Salviati einen silbernen Kelch in den Händen hielt und der Großabt das Kruzifix trug, das sonst am Altar der Kapelle stand, die im Keller der Villa eingerichtet war. Ein ungefasster Heiland aus hellem Holz, bäuerlich schlicht geschnitzt, der im schwankenden Licht der Kerzenflammen zu leben und sich am Kreuz in Schmerzen zu winden schien. »Aber der Dämon des Alkohols hat deine Seele in Besitz genommen!« Das war die Stimme Carafas. »Und wir werden dich von ihm befreien!« Philippe de la Chambre hatte gesprochen. »Solange er in dir wohnt, wirst du nicht die Wahrheit sagen.« In Giovanni Salviatis Stimme glaubte Domingo etwas Wärme oder sogar Zuneigung zu hören. Der
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