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Das Fest Der Fliegen

Das Fest Der Fliegen

Titel: Das Fest Der Fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Heidenreich
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Injektion in den Hals. Mitten in der Hotelhalle. Der
Rosenkranz war diesmal in seiner Jacketttasche. Professor
Peter Abraham Darton aus Chicago, zweiundfünfzig Jahre,
offenbar eine weltweit bekannte Koryphäe in Biogenetik
und Synthetischer Biologie, der Mörder hat ihn genau ge
    kannt. Der Kongress wird von der Bundesregierung mitfinanziert. Du kannst dir denken, was los ist. Der Mann war ein Star, nobelpreisverdächtig. Für die Presse hatte Darton einen Herzinfarkt. Bis jetzt glauben sie’s.« Swoboda setzte sich auf den Küchenstuhl und sah zum Fenster hinaus. Sonniges Herbstlicht über der Stadt. Ein Tag für Pleinairmalerei, ein Block Pastellpapier, den Holzkoffer von Derwent mit neunzig Kreiden in drei Etagen, den Martina noch in Edinburgh bestellt hatte und der eine Woche später tatsächlich eingetroffen war: so ausgerüstet hoch durch den Mahrwald auf die Kuppe, von der man einen weiten Blick nach Osten hatte, über die jetzt fahlgrünen Wiesen, hinter denen die Buchen gelb leuchteten und der Ahorn Feuer fing. Er konnte nicht mehr an Leichen stehen. Ihm war zuletzt übel geworden vom Blut, sein Magen protestierte gegen den Tod. Noch Tage, nachdem er in Valmont Madame O’Hearn gefunden hatte, meinte er, an sich selbst ihren Geruch wahrzunehmen. »Was geht das alles uns an? Sollen die sich in Frankfurt drum kümmern, oder das BKA in Wiesbaden. Zungen an der Nelda hat mit diesem Wahnsinn nichts, aber auch gar nichts zu tun!« »So siehst du das«, sagte Klantzammer ruhig. »Andere sehen es anders. Zum Beispiel ein gewisser Kommissar Lecouteux, der heute um fünfzehn Uhr hier eintrifft. Du erinnerst dich? Alex, du kannst dich nicht drücken! Der Kollege aus Paris will ausdrücklich dich sehen! Und eine Kollegin kommt dazu, die du auch gut kennst, sie war früher beim LKA und ist jetzt beim BKA in Berlin, Terrorismus.«
    »Sag bloß, Michaela Bossi.«
»Eben die. Steile Karriere. Ich wusste ja, dass du nichts
vergessen hast.«
Swoboda stöhnte. »Ich will malen, Jürgen. Ich will malen
und sonst nichts.«
»Dazu ist es zu spät«, sagte Klantzammer. »Oder zu früh.
Wie man’s nimmt. Bis dann. Fünfzehn Uhr.« Er legte auf.
Swoboda schaltete das Telefon aus und legte es auf den
Küchentisch. Er wandte sich um und sah Martina in der
Tür stehen, barfüßig. Sie fragte nichts. Ihr Gesicht fragte.
Und Alexander Swoboda antwortete mit den Schultern,
hob sie und streckte die Arme zur Seite. So hilflos sah sie
ihn nicht gerne. Sie ging zu ihm, nahm seinen Kopf in die
Hände und zog ihn zu sich zwischen die Brüste. Hier war
er sicher.
    Sein altes Präsidium aufzusuchen, brachte neue Erfahrungen. Schon den kurzen Weg von der Prannburg hinunter
schienen sein Füße selbsttätig zu laufen, und auf den fünf
Stufen am Eingang war der Rhythmus, mit dem er sie früher genommen hatte, zwei-zwei-eins, wieder so selbstverständlich, dass er glaubte, seine Muskeln und Gliedmaßen
hätten ihre eigenen Erinnerungen, unabhängig von seinem
Gedächtnis. Die Bewegungsabläufe steckten ihm offenbar
noch in den Knochen.
In seinem ehemaligen Büro arbeitete Rüdiger Törring,
zwanzig Jahre jünger als Swoboda, nun aufgestiegen zum
Kriminalhauptkommissar, seinerzeit sein bester Mitarbeiter und wegen seiner zügigen Arbeitsweise von ihm Turbo genannt. Er kam ihm auf dem Flur entgegen, und bevor
    Swoboda etwas sagen konnte, umarmte ihn Turbo, zog sich aber sofort aus der herzlichen Geste zurück. »Entschuldigen Sie, Chef. Ich freu’ mich so, Sie zu sehen.« »Du siehst gut aus, Turbo«, sagte Swoboda, gab ihm einen Klaps auf die Schulter, zog seinen Mantel aus und hielt ihn Turbo hin, der ihn reflexartig annahm. »Scheint alles wie früher zu sein.« »Leider nicht«, sagte Turbo und ging voraus. »Keiner nennt mich mehr Turbo.« »Das will ich hoffen. Dein Tempo war asozial.«
    Sie warteten stehend auf ihn. Jürgen Klantzammer und Commissaire Georges Lecouteux, zwischen ihnen Michaela Bossi. Wie damals, als sie ihm vom LKA zu Seite gestellt worden war, um die Auftragsmorde in Zungen aufzuklären, registrierte er auch jetzt: Augenfarbe Vandyckbraun, hohe Stirn, blonde Ponyfransen, ovale Gesichtsform, der volle Mund etwas breit, unaufdringliches, aber sorgfältiges Make-up, der Doppelkinnansatz von damals deutlich verstärkt, immer noch äußerst korrekt gekleidet, hellblaue Bluse, ein offener Knopf, damals waren es zwei. Jacke schwarz, silbergrauer, feiner Nadelstreifen, enger schwarzer Rock bis über die Knie. Dunkle Seidenwaden.

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