Das Fest Der Fliegen
Großabt trat einen Schritt näher. Durch die flackernde Beleuchtung von unten wurde sein Gesicht zu einer taumelnden Maske. »Wir werden, Domingo, das Rituale Romanum in deutscher Sprache durchführen, damit es alle hier verstehen können. Es ist wichtig, dass jeder weiß, was geschieht, und es später bezeugen kann. Wenn du aber die Worte des Dämons nur in deiner Muttersprache ausspeien kannst, so darfst du es tun. Auch in jeder anderen Sprache, die der Dämon vielleicht wählen wird. Bist du bereit?« Erst jetzt begriff der Befragte den vollen Sinn all dessen, was bisher gesagt worden war. Sie waren tatsächlich gekommen, um ihm den Teufel auszutreiben. Er hätte gern geschrien, dass er nur aus Verzweiflung zu trinken begonnen hatte. Weil ihm bewusst geworden war, dass er die Trennung von der Engelslegion nicht ertrug. Doch das hätte jeder im Raum für eine Lüge des Dämons gehalten. Er schwieg. Die Vorschriften des Rituals waren ihm bekannt, sie alle hatten gemeinsam die vatikanischen Regeln gelesen: De exorzismis et supplicationibus quibusdam . Petrus Venerandus begann zu beten. »In nomine patris et filii et spiritus sancti. Amen. Princeps gloriosissime caelestis militiae …« Das Gebet zum Erzengel Michael wurde von den anderen mitgesprochen: »Glorreichster Fürst der himmlischen Heerscharen, heiliger Erzengel Michael, verteidige uns im Kampf gegen die Fürsten und Gewalten, gegen die Weltherrscher dieser Finsternis, gegen die bösen Geister unter dem Himmel.« Der Großabt wartete, bis sie geendet hatten, und fuhr fort: »Offer nostras preces in conspectu altissimi …« Und die Brüder fielen ein: »Bringe unser Gebet vor das Angesicht des Allerhöchsten, damit er uns mit seinem vielfältigen Erbarmen schnell zuvorkomme. Und ergreife den Drachen, die alte Schlange, das heißt den Teufel und Satan, und stürze ihn gefesselt in den Abgrund der Hölle, damit er die Völker nicht weiter verführe.« Domingo spürte, wie das Gebet Wort für Wort von ihm Besitz ergriff. Er riss die Augen weit auf und sah das Gesicht von Petrus Venerandus über sich gebeugt. »Fahre aus, Dämon, verlasse den Leib unseres Bruders Domingo, weiche von ihm und sage mir, dass du gehorchst!« Domingo sehnte sich danach zu gehorchen. Doch seine Lippen blieben fest aufeinandergepresst und nur ein tiefes Stöhnen kam aus seiner Brust. Seine Brüder stimmten den 68. Psalm an: Exsurgit deus. Er versuchte, mit den anderen zu sprechen, aber seine Kiefer verbanden sich wie in einem Krampf, und je mehr er sich anstrengte, sie zu öffnen, umso fester blieben sie aneinandergefügt. Als der Psalm mit dem Vers »So, wie wir gehofft haben auf Dich« geendet hatte, trat Philippe de la Chambre aus dem Schatten, nahm Petrus das Kreuz aus den Händen und hielt es über Domingo. Der Großabt rief: »Exorcizamus te, omnis immunde spiritus, omnis satanica potestas!« Und Philippe fiel ein: »Im Namen und in der Kraft unseres Herrn Jesu Christi beschwören wir dich, jeglicher unreiner Geist, jegliche satanische Macht, jegliche feindliche Sturmschar der Hölle, jegliche teuflische Legion, Horde und Bande: Ihr werdet ausgerissen und hinausgetrieben aus der Kirche Gottes, ausgetrieben von den Seelen, die erlöst wurden durch das kostbare Blut des göttlichen Lammes!« Er übergab Carafa das Kreuz, der fortfuhr: »Wage es nicht länger, hinterlistige Schlange, das Menschengeschlecht zu täuschen und die Auserwählten Gottes zu schütteln und zu sieben wie Weizen!« Sie knieten nieder. Petrus nahm das Kruzifix zurück und hielt es hoch über den Kopf, sodass jeder es sehen konnte. »Imperat tibi deus pater …«, rief er, und die anderen erhoben ihre Stimme und sprachen ihm nach: »Dir gebietet Gott Vater! Dir gebietet Gott Sohn! Dir gebietet Gott, der Heilige Geist!« Domingo hatte die Augen geschlossen. Die vorgeschriebenen Sätze des Exorzismus klangen in seinem Kopf nach, als würden sie nicht in diesem Kellerraum, sondern in einem hohen Gewölbe gesprochen. Sie hallten durch seinen ganzen Körper, und die seltsame Macht der alten Formeln ließ ihn glauben, dass er tatsächlich von einem Dämon besessen war. Mit diesem Teufel des Brandys, des Wermuts und des Gin ging der Großabt ins Gericht: »Imperat tibi sacramentum Crucis!«
Carafa schrie: »Dir gebietet das heilige Zeichen des Kreuzes und die Kraft aller Geheimnisse des christlichen Glaubens!« Auch Giovanni Salviati schrie den Dämon an, als säße er vor ihm: »Dir gebietet die glorreiche Jungfrau
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