Das Feuer Kabals
Sanctum führte. Die Wärme nahm zu, als sie sich dem lavagefüllten Abgrund näherten, vor dem die Statue der Göttin des Feuers, Sarinaca, errichtet worden war. Das Bildnis, welches Charnas Abstammung eindeutig belegte, ragte hundert Schritt in die Höhe. Priesterinnen knieten davor und beteten. Vermutlich erbaten sie Sarinacas Rückkehr. Opfergaben wurden verbrannt, heilige Kräuter verbreiteten wohlriechende Dämpfe, die die Sinne verwirrten. Aus einem auffälligen Portal, das frei im Raum stand und nirgendwohin zu führen schien, schossen plötzlich Flammen hervor und eine Hitzewelle breitete sich im Raum aus. Zwei Priesterinnen eilten herbei und knieten nieder. Eine weibliche Gestalt erschien mitten in den Flammen und schwebte einen Schritt hoch über dem Boden aus dem Portal. Es war Charna. Ihr goldener Teint glomm förmlich und ihre Augen leuchteten in einem tiefen Rot. Das Metall ihres außergewöhnlichen Pentacuts glühte, als wäre es dem Schmelzpunkt nahe und die Blutsteine darin pulsierten leuchtend. Sie musste ungeheure Kräfte gewirkt haben. Seraphia verneigte sich tief vor der Hohepriesterin, die eine weite Reise hinter sich haben mochte. Das Portal führte an viele Orte, auch weit außerhalb Kabals und seines Sternsystems. Seraphia hatte erst als Adeptin erfahren, dass es noch mehr Welten als Kabal gab und dass diese unvorstellbar weit entfernt waren. Die blinkenden Sterne am Nachthimmel waren das Licht ihrer Sonnen. Sie wusste, dass Charna die Portale nutzen konnte, um solche Orte zu erreichen. Andere waren ebenfalls dazu in der Lage und sie hoffte, selbst eines Tages eine fremde Welt zu bereisen. Im Moment mehr als je zuvor, denn sie war nervös genug, um zu zittern. Sie schluckte schwer und wünschte, sie wäre woanders. Charna schwebte zu Boden und schritt leichtfüßig auf Seraphia und Cendrine zu.
»Erhebt euch, meine Schwestern! Ich will heute keine Protokolle mehr befolgen müssen. Mir tun die Knochen weh und ich könnte einen ganzen Eber auffressen«, stöhnte die Hohepriesterin.
Seraphia starrte entsetzt auf Charnas schmutzige Füße, bevor sie aufsah. Die Hohepriesterin bekam nichts davon mit, denn sie warf der Äbtissin einen prüfenden Blick zu. Cendrine sah zu Boden und Charna warf die Stirn eine Sekunde lang in Falten, bevor sie sich Seraphia zuwandte.
»Sera mein Engel, wie schaffst du es nur, immer so ordentlich auszusehen? Sieh mich nur an! Ich schaue schrecklich aus! Lasst uns in meine Gemächer gehen. Dann reden wir.«
Seraphia klappte ihren offenen Mund zu. Die ungewohnt lockere Art der Hohepriesterin schockierte sie. Sie gab sich einen Ruck und folgte Cendrine und Charna, deren zarte Gestalt trotz ihres Gejammers so energiegeladen wirkte, als könnte sie einen Berg versetzen. Sie verließen die Haupthalle des Inneren Sanctums über eine Seitentür, die sie in ein Treppenhaus führte. Eine spiralförmige Treppe war aus dem Felsen getrieben worden und leitete sie zügig nach oben. Schmale Fensterschlitze gewährten Ausblick auf das Innere Sanctum. Diese Treppe war schlicht dekoriert und offensichtlich neu erbaut. Als sie sich dem oberen Ende näherten, waren die Stufen noch grobe Formen. Werkzeuge und Geräte der Steinmetze lagen herum.
»Diese Treppe verkürzt den Weg in die Wohngemächer ganz erheblich. Das war ein guter Einfall von Dir«, sagte Cendrine.
»Ich wünschte, es wäre meine Idee gewesen. Der neue Architekt ist darauf gekommen. Er ist bei den Shedau‘Kin aufgewachsen und hat in den Stollen gearbeitet. Es scheint, die Zwerge haben etwas von ihrem Instinkt auf ihn übertragen.«
Charna dirigierte sie aus dem Treppenhaus durch eine schwere Holztür, die noch etwas nach Harz roch in einen weiteren Gang. Hier war die Decke nicht so hoch. Der Gang selbst war breit genug, aber im Vergleich zur Giganten-Architektur des Inneren Sanctums nahm er sich wie ein Ameisengang aus. Der Korridor war länger und knickte zweimal ab. Türen flankierten die Seiten. Seraphia entdeckte Namensschilder. Die ranghöchsten Schwestern und einige Würdenträger auf Besuch wohnten hier. Dieser private Teil des Tempels war gemütlicher als das Innere Sanctum und sehr viel ruhiger als die öffentlichen Straßen und Wege, die den Berg wie tausendfach verzweigte Adern durchzogen. Seraphia warf neugierige Blicke auf ihre Umgebung. Truhenbänke standen neben den Zimmern. Dicke Wandteppiche dämpften die Geräusche und hier und da stand eine kleine Statue oder eine Vase mit Schnittblumen darin.
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