Das Feuer und die Rose
Dunkelheit abzuwehren: das Licht, das aus den Fenstern der Häuser strahlte, an denen sie vorbeigingen, die Scheinwerfer der Bodenfahrzeuge, die vorbeirauschten, die gelben Lichtkegel der Straßenlampen, die die Bürgersteige säumten.
Obwohl es heute Morgen nicht besonders kalt gewesen war – auch wenn Kirk das Gegenteil behauptet hatte, als Miss Keeler ihn und Spock entdeckte –, war die Temperatur nach Sonnenuntergang beträchtlich gesunken. Kirk hatte seine Jacke bis zum Hals zugeknöpft und seine Hände tief in den Taschen vergraben. Wann immer er zu ihrer Führerin schaute, sah er ihren Atem, der vor ihrem Mund zu kleinen weißen Wolken kondensierte.
Keeler hatte etwas Besonderes an sich, fand Kirk. Selbst während sie einfach nur durch die Winternacht lief, strahlte sie etwas Positives und Lebendiges aus. Trotz der Arbeit, die sie als Leiterin einer Suppenküche für Bedürftige leistete, und der Zeit, in der sie lebte, schien nichts ihre Laune trüben zu können.
Während ihrer Aufräumarbeiten im Keller der Mission waren Kirk und Spock zum Mittag- und Abendessen nach oben in den Hauptraum der Mission gegangen. Dort hing ein Kalender an der Wand, auf dem die Tage für Juni 1922 aufgeführt waren, doch dann hatten sie mehrere Zeitungen überprüft, die allesamt Januar 1930 als aktuellen Monat angaben. Damit befanden sie sich in einer Zeit des wirtschaftlichen Umbruchs, die als die Große Depression bekannt geworden war. Als sie an diesem Abend ihre Suppe und ihr Brot gegessen hatten, war Keeler vor sie und die anderen mittellosen und hungrigen Männer getreten, die in ihre Mission gekommen waren, und hatte zu ihnen gesprochen. Sie teilte ihnen mit, dass bessere Tage kommen würden, nicht nur für sie, sondern für alle Menschen auf der Welt. Erstaunlicherweise hatte sie auch von den Möglichkeiten der Atomkraft und der Raumfahrt gesprochen und davon, dass es auf der ganzen Welt keinen Hunger und keine Krankheiten mehr geben würde. Kirk wusste natürlich, dass all diese Errungenschaften erst in ferner Zukunft Wirklichkeit werden würden. Keelers Ansichten ließen sie im Jahr 1930 ebenso fehl am Platz erscheinen wie er und Spock es waren.
»Hier entlang«, sagte Keeler und deutete nach links, als sie eine Kreuzung erreichten.
Sie bogen um die Ecke und Kirk sagte: »Ich muss Sie etwas fragen, Miss Keeler. Wie können Sie so sicher sein, dass die kommenden Tage es wert sind, dafür zu leben, wenn momentan alles so trostlos erscheint?«
»Trostlos?«, wiederholte sie. Ihre zarten Gesichtszüge waren für einen Augenblick im Schein einer Straßenlampe zu erkennen. »Sie meinen, weil all die Banken und Börsen zusammenbrechen?«
»Ja«, antwortete Kirk, der sich sicher war, dass sie sich damit auf das aktuelle Tagesgeschehen bezog.
»Oh, ich weiß nicht, wie trostlos die Dinge sind«, sagte Keeler. »Ich schätze, jeder Tag ist für irgendjemanden trostlos, egal wie gut oder schlecht es für den Rest der Welt läuft. Armut gab es auch schon vor dem Börsencrash, momentan ist sie einfach nur schlimmer. Wenigstens befinden wir uns nicht im Krieg.«
»Aber Sie klangen so optimistisch, als Sie über die Zukunft der Menschheit sprachen«, versuchte Kirk es weiter.
»Nun, ja, das bin ich auch«, gab sie zu. »Mir scheint, wenn die Menschheit so wundervolle Dinge wie Michelangelos
David
und die Stücke William Shakespeares erschaffen kann, wenn sie das Teleskop und das Mikroskop entwickeln kann und Flugzeuge und Schiffe … dann sollte eine solche Gesellschaft auch in der Lage sein, sich selbst von Armut und Hunger und Krankheiten zu befreien.«
»Das ist eine ehrenwerte Sichtweise«, meinte Kirk.
»Wir können ein ehrenwertes Volk sein«, erwiderte Keeler.
»Die Geschichte der Menschheit ist jedoch auch voller Beispiele der Tyrannei«, gab Spock zu bedenken, der hinter ihnen herging.
»Spock …«, begann Kirk zu protestieren, doch Keeler fiel ihm ins Wort.
»Nein, Sie haben recht, Mister Spock. Und es sind nicht nur Beispiele aus der Vergangenheit. Mister Gandhi und das Volk Indiens kämpfen derzeit darum, sich von den Fesseln des britischen Imperialismus zu befreien.«
»Glauben Sie, dass sie erfolgreich sein werden?«, fragte Kirk.
»Natürlich werden sie das«, sagte Keeler. »Es mag Jahre oder sogar ganze Generationen dauern, aber sie werden erfolgreich sein, weil unser Drang nach Freiheit größer ist als unser Drang nach Eroberung. Jeder Tag, jeder Monat, jedes Jahr, das vergeht, wird die
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