Das Feuer und die Rose
Entschlossenheit des indischen Volkes stärken und den Willen der britischen Politiker schwächen. Und irgendwann werden sogar die Briten die Unabhängigkeit Indiens befürworten.«
»Eine interessante Analyse«, bemerkte Spock.
»Wenn man die Geschichte betrachtet«, fuhr Keeler fort, »sieht man zwar Tyrannei. Aber man sieht auch Menschen, die Berge erklimmen, Kontinente und Ozeane überqueren und durch den Himmel fliegen.« Sie hielt einen Moment inne, doch Kirk entschied sich, die Stille nicht zu unterbrechen, sondern einfach gespannt abzuwarten, was sie als Nächstes sagen würde. »Ich glaube nicht, dass Materialismus ein natürlicher Zustand für die Menschen ist«, sagte sie schließlich. »Wenigstens sollte es kein
normaler
Zustand sein. Die Menschen machen sich besser als Forscher denn als Sammler. Sie sind Wesen der Vorstellungskraft, keine Wesen des Besitzes.«
»Sie glauben also, dass das Gute im Menschen das Schlechte verdrängen wird«, fasste Kirk zusammen.
»Ja, davon bin ich absolut überzeugt«, bestätigte Keeler und blieb stehen. Für eine Sekunde dachte Kirk, dass er sie womöglich irgendwie beleidigt hatte, doch dann deutete sie auf das Gebäude vor ihnen. »Dort wohne ich«, sagte sie.
Kirk betrachtete das vierstöckige Bauwerk, das selbst in der Dunkelheit der Nacht recht renovierungsbedürftig wirkte. Aus mehreren Fenstern schien Licht, doch die meisten waren dunkel. Keeler stieg die breiten Betonstufen hinauf, die zum Eingang des Gebäudes führten, und Kirk und Spock folgten ihr. Am Ende der Treppe zeigte sie auf einen dunklen Bogen über der Eingangstür. »Ich sage Mister Dubinski immer wieder, dass er die Glühbirne auswechseln muss«, meinte sie.
Keeler drückte die Tür auf und trat in einen winzigen Vorraum. Von der Decke hing eine nackte Glühbirne und beleuchtete eine Reihe metallener Kästen. Die Farbe an der Wand darüber und darunter war so stark abgeblättert, dass Kirk den Eindruck hatte, dass es mehr kahle Stellen als verbleibende beigefarbene Flecken gab. Keeler hob den Deckel des Kastens mit der Nummer 33 an und ließ ihn dann wieder zuklappen. »Keine Post«, sagte sie. »Zum Glück.«
Nachdem Keeler die innere Tür geöffnet hatte, traten sie alle in einen engen Flur. Hier waren die Wände besser instand gehalten worden, nur an wenigen Stellen blätterte die Farbe ab. Ein roter Teppich bedeckte den Boden. Links führte eine Treppe in den ersten Stock, während auf der anderen Seite mehrere Türen zu erkennen waren. Keeler ging auf die erste zu und klopfte an.
»Sind Sie sicher, dass es nicht zu spät ist?«, fragte Kirk.
»Ich habe Mister Dubinski vorhin angerufen und ihm mitgeteilt, dass wir kommen«, erwiderte Keeler.
Kurz darauf hörte Kirk, wie sich in der Wohnung etwas regte und einen Moment später wurde die Tür geöffnet. Ein korpulenter Mann stand ihnen gegenüber. Er trug einen abgewetzten roten Morgenmantel und schien sich mehrere Tage lang nicht rasiert zu haben. In seinem Mundwinkel hing ein unangezündeter Zigarrenstummel. »Miss Keeler«, brummte er. Er warf Kirk und Spock einen langen Blick zu und fragte dann: »Sind das die Burschen?«
»Ja«, sagte sie. »Das sind Mister Kirk und Mister Spock.«
»Sind sie in Ordnung?«, wollte Dubinski wissen.
»Wenn sie es nicht wären, würde ich sie wohl kaum mit in das Haus nehmen, in dem ich wohne, oder?«, meinte Keeler.
»Nein, vermutlich nicht«, gab Dubinski zu. Er sah wieder zu Kirk und sagte: »Das macht zwei Dollar die Woche, im Voraus.«
»Oh, ja, natürlich«, stammelte Kirk und erinnerte sich an das Bargeld, das Keeler ihm und Spock an diesem Tag gegeben hatte. Er griff in seine Hosentasche, zog zwei Geldscheine heraus und hielt sie Dubinski hin. Der Vermieter schnappte danach wie eine Maus nach einem Stück Käse.
»Es ist die Nummer einundzwanzig«, sagte er und zog einen Schlüssel aus der Tasche seines Morgenmantels. »Soll ich sie nach oben bringen, oder wollen Sie ihnen den Weg zeigen?«, fragte er Keeler.
»Ich mache das schon«, versicherte Keeler und nahm den Schlüssel an sich. »Wir haben Sie heute Nacht bereits lange genug gestört. Vielen Dank.«
Dubinski schnaufte bestätigend und schloss die Tür.
»Charmanter Kerl«, bemerkte Kirk.
»Oh, er ist in Ordnung«, sagte Keeler, während sie auf die Treppe zuging. »Viele Vermieter verlangen zweieinhalb bis drei Dollar die Woche für ein Zimmer.« Am oberen Ende der Treppe ging sie auf die erste Tür zu, auf der die Zahl 21
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