Das Filmbett
später — dort, hinter einem hohen Gesträuch hockend,
entledigte sich eine zierliche Pagin einer kleinen Notdurft — sie lachte in
sich hinein — , »gegen die Wand pinkeln kann sie doch nicht«.
Flüchtig kam ihr Al in den Sinn,
aber sie verdrängte rasch sein Bild: wie er gestern nacht vor den Snobs und den
Siebengescheiten so beherzt seine Meinung vertreten hatte, obwohl sie durchaus
nicht geneigt war, diese zu der ihren zu machen. Ganz gut, daß er nicht
gekommen war, sie fürchtete jetzt, daß sie sich vielleicht doch vor ihm geniert
hätte — nackt, wie sie war.
8
Sie wollte bereits umkehren, um
sich in die Höhle des — sicherlich zahnlosen — Löwen zurückzubegeben, als sie
durch menschliche — oder waren es tierische — Laute unbestimmbaren Charakters
auf eine dichte Baumgruppe aufmerksam gemacht wurde, die sich mit viel
Unterholz fast zu einem Kreis zusammenschloß. Halb aus Besorgnis, halb aus
einer uneingestandenen Neugier näherte sie sich dem Ort und den Geräuschen. Sie
glitt schlangengleich durch die naturgewachsenen Umgrenzungen, bog vorsichtig
und geräuschlos Zweige und Geäst auseinander und sah einen kleinen runden Platz
vor sich, der der Bühne eines Gartentheaters glich. Auf seiner Mitte war ein
Paar in innigster Umschlingung begriffen, und Blanche sah — nein, erlebte — zum
erstenmal den Vorgang, den die Menschen nur mit den schönsten oder schmutzigsten
Worten bezeichnen oder mit den Ausdrücken medizinischer Fachbücher.
Aber wie anders war das, was sich
ihr darbot, als die Bilder, die ihr heimlich unter dem Siegel tiefster
Verschwiegenheit gezeigt oder zugesteckt worden waren, wie anders als die
schlüpfrigen Illustrationen mit galanten Herren und Damen, anders als die
primitiven Kritzeleien an gewissen Wänden.
Aber auch anders als die
Kupferstiche mit dem Kanon ihrer akademischen Muskelparaden, ihren klassischen
flachen Posen. Vor ihr lag, im Streifenlicht der untergehenden Sonne, ein
großes, wohlgestaltetes Weib (das ihr schon aufgefallen war) auf dem Rücken und
hielt mit ihren Beinen die Hüften des ebenfalls nackten Willem umklammert, der
in voller Aktion war. Die natürlichste Art der Aretinischen Positionen war das —
das wußte sie — , aber was sich hier ereignete, war das Anziehendste und das
Abstoßendste, das Ekelhafteste und das Faszinierendste, das Häßlichste und, in
seiner Wildheit, schönste Schauspiel, das sie je gesehen hatte. Das »Tier mit
den zwei Rücken«, von dem Shakespeares Jago so perfide spricht, war eine infame
Denunziation. Sicher, hier wurde der Mensch zum Tier — aber auch das Tier zum
göttlichen Menschen.
Sie war angewidert und konnte doch
die Augen nicht von dem Schauspiel wenden. Und dann diese Laute, der Schrei des
Schmerzes und der Schrei der Lust, das Wimmern nach Erbarmen und der röchelnde
Wunsch nach Mehr, das wortlose Stöhnen und das Stammeln, das sich zu Worten
artikulierte, die Bitte und Forderung zugleich waren, wie schamlos direkt auch
die Begriffe, die sie gemein bezeichneten, sein mochten. Hier wurde die ihr
bekannte Klischeevorstellung vom Naturgott Pan, vom bocksfüßigen Faun, vom
Waldschratt, vom geilen Silen und der sinnentollen Mänade, der wilden
Bacchantin unabweisbar präsente Gestalt, nicht aus Marmor oder Bronze, sondern
aus heißem, kochendem Blut und vibrierendem Menschenfleisch. Was hier geschah
war ein mythischer Kampf, ein von höherer Macht choreographierter Tanz, ein
Bewegungsspiel voll Urgeheimnis und Magie.
Das war etwas anderes als die
schmierigen Vorgänge, von denen ihre Kolleginnen sich flüsternd berichteten,
die hinter Schlafzimmertüren belauschten Eltern, die kichernd reportierten
Geschichten vom älteren Bruder und seiner tollen Freundin, von der Schwester
mit ihrem heimlichen Verlobten oder von dem schwarzen Schaf ihrer Truppe mit
den allzu rasch wechselnden Partnern. Blanche war — wie viele Tänzerinnen — gar
nicht so besonders musikalisch. Sie hatte kein absolutes Gehör, und wenn sie
sang oder pfiff, tat sie es auf eine lustige und reizvolle Weise völlig falsch.
Aber sie hatte den sicheren, musikalischen Sinn für Tempo und Rhythmus, für das
Crescendo und das Diminuendo, für Steigerungen und Verzögerungen, und was sie
hier sah und hörte, war eine Komposition im buchstäblichen Sinne, hatte einen
dramatischen Aufbau, lyrische Zwischenspiele, zu Höhepunkten langsam oder
stürmisch hingeführte Passagen, lustvolle Fermaten. Dem Augenblick der Stille
folgten neuerliche
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