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Das Filmbett

Das Filmbett

Titel: Das Filmbett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown
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Accelerandi, den abschließenden Fanfarenstößen das
verklingende Morendo des Ersterbens.
    Sie schämte sich, in diesen
geheiligten Intimbereich eingebrochen zu sein und konnte sich doch nicht aus
ihm lösen. Sie war erregt, zweifellos, sie litt Qual, aber auch Lust — und
wurde sich plötzlich bewußt, daß sie das geworden war, was sie heute morgen
noch bespöttelt hatte: ein Voyeur. Sie kam gar nicht dazu, sich an die Stelle
der Frau zu wünschen. Sie genoß als Zuschauer, wie sie gestern die verehrte
Palucca genossen hatte, mit vollem Herzen und mit allen Sinnen...
    Aber war dieser Liebesakt — so
mußte man ihn wohl nennen, der nun einem neuen Höhepunkt zustrebte — auch
wirklich ein Akt der Liebe? Hatte er etwas mit Liebe zu tun? Das Wort
Liebe war jedenfalls als einziges Wort nicht gefallen, nein, es war ein rein
physischer Akt — aber immerhin: hier war animalische Natur zur Kunst geworden.
    Und damit hatte ihr junger
Verstand zweifellos recht, denn als das schweißbedeckte Paar erschöpft zur Ruhe
gekommen war, erfolgte der beeindruckte Applaus einiger, wie es ihr erschien
sachverständiger Zuschauer. Sie hatte ein Ohr für Applaus: das waren Kenner,
kritische Betrachter — Aficionados nennt man sie beim tödlichen Stierkampf — aber
da wird der Stier gestochen, fuhr es ihr blitzschnell durch den Sinn, und tatsächlich,
sie konnte es von ihrem Blickpunkt aus nur erkennen, wenn sie sich weit nach
links vorbeugte, so daß ihre Füße fast den Halt verloren: Der Dreiviertelkreis
des Baumbestandes wurde dort abgeschlossen durch eine runde Taxushecke, vor der
auf bequemen Klappstühlen ein ausgewähltes Publikum saß.
    Sie hatte einer Vorstellung
beigewohnt.
    Alles stürzte in ihr zusammen.
Hier hatte sich kein Paar in Leidenschaft umfangen; zwei Statisten — womöglich
bezahlte, und Willem war ja wohl ein Angestellter — hatten den Liebesakt, in
dem die Liebe ein Fremdwort war, gemimt, zur Darstellung gebracht, in seiner
ganzen unverblümten naturalistischen Gegebenheit.
    Das war Unzucht, Prostitution,
unsittliches Gewerbe.
    Und als sich das Paar auch noch
dem Publikum stellte, sich linkisch verbeugte, ja, verlegen grinsend lächelte —
wie Dilettanten dies meistens tun — , vor diesen... diesen Voyeuren, denen
heiligste Intimität nur kulinarisches Schauvergnügen war, brach es aus ihr
heraus und sie begann vor Wut und Enttäuschung zu schreien. Sie stürzte, blind
vor Tränen, durch das Gebüsch, aber schon als der aufgeschreckte Gastgeber auf
sie zukam, während seine Freunde und die wenigen Gespielinnen verstört
zurückblieben, drängte sich ihr die Gewißheit auf, daß sie um kein Jota besser war
als diese hier — auch sie war ein Voyeur gewesen, der Vergnügen an dem
Schauspiel gehabt, Lust und Erregung verspürt hatte.
    Und war sie heute morgen nicht
bereit gewesen, selbst eine unzüchtige Vorstellung vor einem Zuschauer zu geben
— und der Zorn, der sie mit Fäusten auf die Brust des Hausherrn trommeln ließ,
der nichts zu sagen wagte und sie nur hilflos im Arme hielt, wich einem großen
Schmerz. Sie begann haltlos zu schluchzen.
    Das Monster stammelte nur: »Ich
habe doch nicht gewußt...« »...Ich wollte doch gar nicht...«, und strich ihr
gehemmt über den Knabenkopf.
    Da wurde Blanche klar, daß dieser
karpfenäugige, glatzköpfige reiche Mann ein armer Hund war, der Bourgeois
gentilhomme mehr Eunuch als Pascha — und weil die Tränen noch immer nicht
versiegten (während sie schon nicht mehr wußte, worüber sie eigentlich weinte),
bat sie, nach Hause gebracht zu werden, was zu bewerkstelligen man umgehend
versprach.
    Sie wurde auf Umwegen und
ungesehen von der übrigen Gesellschaft in die Villa geführt, man holte ihre
Kleider vom genau beschriebenen Platz — links, am Ende der Balustrade — , sie
bemerkte nicht die groteske Situation, wie Männer und Frauen gleichzeitig sich
bemühten, sie anzuziehen.
    Aber es wurde ihr jetzt erst
bewußt — wie Eva, nachdem sie vom Baume der Erkenntnis gegessen hatte — , daß
sie die ganze Zeit nackt gewesen war.
    Als sie alle ihre Siebensachen
beisammen hatte, meldete ein — wenn auch nur flüchtig — uniformierter Willem
mit noch strubbeligem Blondkopf, daß das Boot bereit stünde. Sie sah — zum
erstenmal — in die starren Fischaugen ihres Gastgebers, sah das abgrundtiefe
Unvermögen dieses vermögenden Mannes — da drückte sie in der jähen Anwandlung
eines Gefühles von Mitleid den Glatzkopf an sich, gab ihm einen Kuß auf

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