Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Flammende Kreuz

Titel: Das Flammende Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
Vom Netzwerk:
Bug aus dem Weg zu gehen. Brianna ließ sich auf den Stuhl vor dem kleinen Tisch sinken, der ihrem Vater als Schreibtisch diente. Oder vielleicht hatte sich Mrs. Chisholm ja auf die Lauer gelegt, um Brianna dazu zu bewegen, sich ihre Beschwerden anzuhören, sobald ihr die anderen nicht mehr im Weg waren.
    Jemmy lag jetzt mit den Beinchen in der Luft auf dem Rücken und zermatschte fröhlich ein Stück Zwieback, das er irgendwo gefunden hatte. Ihr Tagebuch war zu Boden gefallen. Da sie Mrs. Chisholm aus dem Sprechzimmer kommen hörte, hob sie rasch den Federkiel und nahm mit der anderen Hand eines der Kontobücher von dem Stapel auf dem Schreibtisch.
    Die Tür öffnete sich ein oder zwei Zentimeter. Sekundenlang herrschte Schweigen, und sie beugte den Kopf stirnrunzelnd in übertriebener Konzentration über die Seite, die vor ihr lag, und kratzte mit leerem Federkiel darauf herum. Die Tür schloss sich wieder.
    »Blöde Kuh«, murmelte sie vor sich hin. Jemmy machte ein fragendes Geräusch und sie blickte zu ihm hinunter. »Das hast du nicht gehört, klar?«
    Jemmy blubberte zustimmend und stopfte sich den matschigen Überrest
seines Toaststückchens in das linke Nasenloch. Sie setzte sich instinktiv in Bewegung, um es ihm abzunehmen, dann bremste sie sich. Sie war heute Morgen nicht in der Stimmung für weitere Konflikte. Das galt auch für den Nachmittag.
    Sie klopfte nachdenklich mit dem Federkiel auf die Buchseite. Sie würde etwas unternehmen müssen, und zwar schnell. Womöglich hatte Mrs. Chisholm die Tollkirschen gefunden, und sie wusste, dass Mrs. Bug ein Hackbeil hatte.
    An Gewicht, Größe und Reichweite war Mrs. Chisholm zwar im Vorteil, aber Brianna hätte ihr Geld auf Mrs. Bug verwettet, was List und Tücke anging. Was die arme, kleine Mrs. Aberfeldy anging, so würde sie ins Kreuzfeuer geraten und mit verbalen Geschossen bombardiert werden. Und Klein-Ruthie würde wahrscheinlich so kahl sein wie ein Ei, bevor die Woche verstrichen war.
    Ihr Vater hätte sie durch den vereinten Einsatz von Charme und männlicher Autorität in null Komma nichts in ihre Schranken verwiesen. Sie prustete bei dieser Vorstellung belustigt auf. Komm, würde er zu der einen sagen, und sie würde sich schnurrend wie Adso, der Kater, zu seinen Füßen zusammenrollen. Geh, würde er zu einer anderen sagen, und sie würde prompt in die Küche wandern und ihm einen Teller Buttermuffins backen.
    Ihre Mutter hätte die erste Gelegenheit ergriffen, aus dem Haus zu flüchten - um sich um einen abgelegenen Patienten zu kümmern oder Heilkräuter zu sammeln - und die Frauen ihren Streit selbst ausfechten zu lassen, und sie wäre erst dann zurückgekehrt, wenn ein Zustand bewaffneter Neutralität wiederhergestellt war. Brianna war der Ausdruck der Erleichterung im Gesicht ihrer Mutter nicht entgangen, als sie sich in den Sattel ihrer Stute schwang - genauso wenig wie der etwas entschuldigende Blick, den sie ihrer Tochter zuwarf. Dennoch kam für sie keine dieser Strategien in Frage - wenn auch das Bedürfnis, sich Jemmy zu packen und das Weite zu suchen, sehr stark war.
    Zum hundertsten Mal seit dem Aufbruch der Männer wünschte sie, sie hätte mit ihnen reiten können. Sie konnte sich die Bewegungen eines Pferdes unter ihr vorstellen, die klare, kalte Luft in ihren Lungen, und Roger, der an ihrer Seite ritt, die Sonne in seinem dunklen Haar, gemeinsam unterwegs zu unbekannten Abenteuern.
    Sie vermisste ihn so sehr, dass es schmerzte wie ein Bluterguss auf einem Knochen. Wie lange mochte er wohl fort bleiben, wenn es wirklich zu Kampfhandlungen kam? Sie verdrängte den Gedanken, denn sie wollte sich nicht mit dem Gedanken befassen, der danach kam; dem Gedanken, dass dann auch die Möglichkeit bestand - so klein sie auch war -, dass er krank oder verletzt zurückkam - oder dass er gar nicht zurückkam.
    »Dazu wird es nicht kommen«, sagte sie laut und überzeugt. »In ein oder zwei Wochen sind sie wieder da.«

    Lautes Prasseln erklang, denn ein Windstoß wehte Eisregen gegen das Fenster. Das Wetter wurde kalt; bei Anbruch der Nacht würde es schneien. Sie erschauerte, zog sich das Schultertuch um die Schultern und warf einen Blick auf Jemmy, um sich zu vergewissern, dass er nicht fror. Sein Kittelchen war hochgerutscht, seine Windel eindeutig nass, er hatte einen Strumpf verloren, und sein kleiner, rosiger Fuß war nackt. Er schien es nicht zu merken, da er ganz darin vertieft war, seinen nackten Zehen, die sich in der Luft bewegten, ein

Weitere Kostenlose Bücher