Das fliegende Klassenzimmer.
Martin.
»Wozu schicken die dir denn einen Tag, bevor du sie besuchst, noch ein Paket?«
»Meine Mutter schickt mir die frische Wäsche«, log Martin, »damit ich auf der Rückreise im Januar nicht so viel zu schleppen habe.«
»Eigentlich ganz praktisch«, sagte Matthias. »Na, da will ich mal meinen Koffer packen. Am liebsten bliebe ich zwar hier.
Aber der Justus hat etwas dagegen. Er meint, ich solle meinen werten Angehörigen doch ja die Freude machen und mich bei Selbmanns in Frankenstein unter den Christbaum stellen.
Meinetwegen. Es ist ja über Weihnachten immer ganz ulkig zu Hause, was? Bei euch auch?«
»Freilich«, sagte Martin. »Sehr ulkig sogar.«
Matthias gab keine Ruhe. »Fährst du auch mit dem Mittagszug?«
»Nein, ich fahre später.«
»17 Uhr 12?«
»Jawohl. 17 Uhr 12.«
»Ach, fahre doch auch schon mit dem Mittagszug!«, bat Matthias. »Mindestens fünfzig Jungens fahren mittags in unserer Richtung. Da besetzen wir einen ganzen Wagen und machen Krach. Das wird pfundig! Ja? Kommst du mit?«
Martin hielt es nicht mehr aus. Er schlug die Schranktür zu, rief »Nein!«, und rannte aus dem Zimmer.
Matthias schüttelte den Kopf und meinte: »Den hat der Affe gebissen.«
Am Nachmittag gingen die meisten in die Stadt hinunter, um rasch noch Besorgungen zu machen oder auch nur, um vor den Spielwarenläden stehen zu bleiben. In den Morgenstunden hatte es geschneit, und jetzt war es beißend kalt. Die Christbaumverkäufer an den Straßenecken suchten ihre letzten Tannen und Fichten loszuwerden. Sie ließen mit sich handeln.
Martin ging zum Postamt und bat den Schalterbeamten, ihm die Briefmarken in Geld umzuwechseln. Der Mann knurrte zwar wie ein Löwe, aber schließlich rückte er zwei Zweimarkstücke und ein Markstück heraus. Der Junge bedankte sich höflich, steckte das Geld ein und wanderte noch ein wenig durch die Straßen.
Auf dem Wilhelmplatz begegnete er Egerland, dem ehemaligen Anführer der Realschüler. Sie grüßten einander wie feindliche Generäle, die sich nach dem Krieg an der Riviera treffen. Unversöhnlich, aber respektvoll.
Und auf der Kaiserstraße stieß Martin auf Sebastian Frank.
Sebastian wurde verlegen. Er deutete auf ein paar Päckchen, die er in der Hand hielt. »Was soll man machen«, sagte er.
»Es ist nun mal so Sitte. Machst du auch Einkäufe?«
»Nein«, erwiderte Martin.
»Ich warte immer bis zur letzten Minute«, meinte Sebastian.
»Jedes Mal will ich’s lassen. Denn es ist ja eigentlich ein ziemlich vorsintflutlicher Brauch, nicht? Aber dann sause ich eben doch jedes Mal wieder los. Es ist schon was dran. Und zum Schluss macht’s mir geradezu Spaß, den anderen was zu schenken. Findest du nicht auch?«
»Doch«, sagte Martin. »Es ist sogar eine wunderschöne Sitte.«
Dann biss er sich auf die Unterlippe. Ein Wort mehr, und er hätte losgeheult. Weinen ist streng verboten, dachte er, nickte Sebastian zu und ging rasch weiter. Er rannte fast. Nur fort!
Nur heraus aus dieser Weihnachtsluft! Ecke Nordstraße blieb er stehen und beaugenscheinigte das Schaufenster vom Bäcker Scherf.
Hier würde er also morgen Nachmittag Schokolade trinken und Kuchen essen. Es würde fürchterlich werden. Aber seine Mutter wollte es, und er hatte es ja fest versprochen.
>Lieber Gott<, dachte er. >Wie soll ich das denn vierzehn Tage aushallen, ohne einmal zu heulen?< Dann trabte er der Schule zu. Zwei Zweimarkstücke und ein Markstück klimperten in seiner Tasche.
Die Generalprobe des »Fliegenden Klassenzimmers« fand in Kostümen statt. Die Jungen hatten gefürchtet, der kleine Stöcker werde versagen. Sie wurden angenehm enttäuscht.
Der Quartaner spielte wie der Deibel! Na, und aussehen tat er, mit den blonden Hängezöpfen vom Friseur Krüger und in den Kleidern aus Ulis Schrank! Jeder, der von der Verkleidung nichts wusste, musste ihn für ein Mädchen halten. »Die Primaner werden sich rettungslos in dich verheben«, rief Sebastian.
Nur Matthias fand, Uli sei noch ein bisschen besser gewesen.
Aber das war ja ganz selbstverständlich. Das war er seinem Freunde schließlich schuldig.
Zweimal probierten sie das Stück. Am schwersten war es für Matz. Ganz besonders die kurze Umkleidepause, die er zwischen dem vierten und fünften Akt hatte, machte ihm Kummer. Denn sich in einer Minute aus einem Eisbären in Sankt Petrus zu verwandeln, das war kein Kinderspiel. Aber es würde schon klappen.
»Genug«, sagte Johnny Trotz. »Hals- und Beinbruch für heute
Weitere Kostenlose Bücher