Das Foucaultsche Pendel
Damian, eine Madonna, durchbohrt von Schwertern, und ein schamlos hyperrealistischer Christus mit ausgebreiteten Armen wie der Erlöser auf dem Corcovado, aber farbig bemalt. Es fehlten die Orixás, aber man spürte ihre Präsenz in den Gesichtern der Anwesenden, im süßlichen Geruch des Zucker-backwerks und im Schweißgeruch all der Transpirationen wegen der Hitze und der Erregung über die bevorstehende Gira.
Es erschien der Pai-de-santo, der sich neben den Altar setzte, wo er einige Gläubige empfing und danach die Gäste, die er mit dichten Schwaden seiner Zigarre parfümierte, segnete und zu einer Tasse Likör einlud wie zu einem raschen eu-charistischen Ritus. Wir knieten nieder und tranken. Ich bemerkte, als ich einen Cambono aus einer Flasche einschen-ken sah, daß es Dubonnet war, aber ich tat, als schlürfte ich ein kostbares Lebenselixier. Auf dem Podium begannen die Atabaques mit dumpfen Schlägen zu trommeln, während die Initiierten einen beschwörenden Hymnus an Exu und die Pomba Gira anstimmten: Seu Tranca Ruas é Mojuba! É
Mojuba, é Mojuba! Sete Encruzilhadas é Mojuba! É Mojuba, é Mojuba! Seu Maraboe é Mojuba! Seu Tiriri, é Mojuba! Exu Veludo, é Mojuba! A Pomba Gira é Mojuba!
Es begannen die rituellen Räucherungen, die der Pai-de-251
santo mit einem Schwenkfäßchen vornahm, dem ein schwerer Geruch indianischen Weihrauchs entströmte, wozu er spezielle Gebete an Oxalá und an Nossa Senhora sprach.
Die Atabaques beschleunigten das Tempo, und die Cavalos strömten in den abgeteilten Raum vor dem Altar, um sich dem Zauber der pontos zu überlassen, rhythmischer Strophen, die beim Tanzen im Chor gesungen werden. Die Mehrheit der Tanzenden waren Frauen, und Amparo machte ironische Bemerkungen über die Schwäche ihres Geschlechts (»Nicht wahr, wir sind sensibler«).
Unter den Frauen waren auch einige Europäerinnen. Agliè zeigte uns eine Blondine und sagte, sie sei eine deutsche Psychologin, die seit Jahren zu den Riten komme. Sie habe schon alles versucht, aber wenn man nicht prädisponiert und auserwählt sei, dann sei eben alles umsonst: sie werde nie in Trance fallen. Sie tanzte hektisch, den Blick ins Leere gerichtet, während die Atabaques ihren und unseren Nerven keine Pause gönnten. Scharfe Schwaden erfüllten den Saal, betäubten Aktive und Zuschauer, packten alle — glaube ich, jedenfalls mich — am Magen. Aber ich hatte das schon in den Sambaschulen von Rio erlebt, ich kannte die psychagogische Macht der Musik und des Lärms — dieselbe, der sich unsere Discofieberkranken am Samstagabend unterwerfen. Die blonde Deutsche tanzte mit weit aufgerissenen Augen, erflehte Vergessen mit jeder Bewegung ihrer hysterischen Glieder. Nach und nach fielen die anderen Tän-zerinnen in Trance, warfen die Köpfe zurück, bewegten sich weich und fließend, schwammen in einem Meer von Selbst-vergessenheit, und sie blieb steif, verkrampft und weinte beinahe, wie eine, die sich verzweifelt bemüht, einen Orgasmus zu kriegen, und sich windet und zuckt und doch trok-ken bleibt. Sie tat alles, um die Kontrolle über sich zu verlieren, und fand sie doch jeden Augenblick wieder, die arme Teutonin, krank an Wohltemperierten Klavieren.
Unterdessen vollzogen die Auserwählten ihren Sprung ins Leere, ihr Blick wurde stumpf, ihre Glieder erstarrten, sie bewegten sich mehr und mehr automatisch, aber nicht zufällig, denn sie offenbarten die Natur des höheren Wesens, das sie in Besitz genommen hatte: weich und fließend einige, die mit den Händen in Hüfthöhe seitlich ruderten wie beim Schwimmen, andere gebückt mit langsamen Schritten, und 252
die Cambonos kamen und hüllten sie in weiße Tücher, um sie den Blicken der Menge zu entziehen, diese von einem überragenden Geist Berührten...
Manche zuckten am ganzen Körper, die von Pretos velhos Erfüllten stießen dumpfe Laute aus — hum! hum! hum! —
und stapften gebeugt voran wie Greise, die sich auf einen Stock stützen müssen, schoben die Unterkiefer vor und bekamen ausgezehrte, zahnlose Gesichter. Die von Caboclos Besessenen stießen grelle Kriegsrufe aus — hiahouuu!! —, und die Cambonos eilten denen zu Hilfe, die der Gewalt des Geschenkes nicht standzuhalten vermochten.
Die Trommler trommelten, der Singsang der Pontos stieg in die rauchgeschwängerte Luft. Ich hatte Amparo untergefaßt, und plötzlich spürte ich, wie ihre Hände zu schwitzen begannen, ihr Körper zitterte, ihre Lippen öffneten sich. »Mir ist nicht gut«, sagte
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